„Da tickt eine ökologische Zeitbombe“

Eine internationale Task Force legt konkrete Zahlen für den Klimaschutz vor. Das Besondere: Beteiligt waren diesmal auch Klimaschutzbremser

Unser Planet wird wärmer. Diese Tatsache können auch Kioto-Gegner aus den USA und Australien nicht leugnen. Worin jedoch die Ursachen dafür liegen und wie und vor allem wann konkret zu handeln ist, an diesen Fragen schieden sich bisher die Geister. Eine internationale Studie unter dem Titel „Der Klimaherausforderung begegnen“ (Meeting the climate challenge), die der taz vorliegt, legt erstmals ein konkretes Zeitfenster und Grenzwerte fest, die die Folgen des Klimawandels bändigen sollen. Mitgearbeitet haben daran Wissenschaftler, Politiker und Nichtregierungsorganisationen – aus Ländern, die das Kioto-Protokoll ratifiziert haben, ebenso wie aus Ländern, die es ablehnen. Koordiniert wurden die Beratungen von drei wissenschaftlichen Instituten aus Großbritannien, den USA und Australien.

Wenn Kohlendioxid (CO2) und andere Treibhausgase weiterhin in den bisherigen Mengen ausgestoßen werden, ist der Klimakollaps bereits in rund zehn Jahren unaufhaltsam vorbestimmt. Zu dieser gewagten These kam der Vorsitzende der internationalen Klimawandel-Task-Force, der britische Labour-Abgeordnete Stephen Byers, in seiner Abschlusserklärung in London.

„Das ist eine wichtige Initiative, die mit internationaler Expertise fundiert ist und klar festlegt, dass unmöglich so weitergemacht werden kann wie bisher“, sagte Jennifer Morgan, Direktorin für internationalen Klimaschutz beim WWF, der taz. Sie sieht in der Einigung der verschiedenen Interessenvertreter ein wichtigen Fortschritt für eine „aggressive Klimaschutzpolitik“.

Die Task-Force stützt ihre Berechnungen auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach eine Korrelation zwischen der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre und der Erderwärmung angenommen werden kann. 2 Grad legt das Gremium als kritische Obergrenze für den Anstieg der durchschnittlichen Welttemperatur ab Beginn der Industrialisierung fest – um 0,8 Grad wärmer als damals ist es schon heute.

Wird die 2-Grad-Grenze überschritten, befürchten die Klimaexperten übereinstimmend eine signifikante Steigerung der Lebensrisiken durch Naturkatastrophen, Ernteausfälle und Wasserknappheit. Eine CO2-Konzentration von 400 ppm (parts per million), so konstatiert die Klimastudie, wird unvermeidlich zu einer Erwärmung um die 2 Grad führen – wenn auch mit Zeitverzögerungen. Mit einem momentanen jährlichen Anstieg von 2 ppm und einer aktuellen Konzentration von 378 ppm wäre diese Grenze bereits in zehn Jahren erreicht. „Da tickt eine ökologische Zeitbombe“, sagte Byers.

Argumentative Rückendeckung bekommt Byers auch durch einen Artikel in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature. Darin werden vorläufige Ergebnisse eines Experiments der Oxford University zitiert, das mit Computersimulationen die Erderwärmung bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration im Vergleich zum vorindustriellen Niveau untersucht. In mehr als 60.000 Simulationen reichte die Spanne der Erderwärmung von 2 bis zu 11,5 Grad. Abhängig von künftigen CO2-Ausstößen könnte dieser Anstieg in den nächsten 100 Jahren eintreffen, so die Oxforder Wissenschaftler.

Der Vorsitzende des Umweltausschusses Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD), einziger deutscher Vertreter in der internationalen Klima-Task-Force, betont vor allem die politische Relevanz des Dokuments: „Es ist ein ernsthafter Versuch, die USA zum Klimaschutz nach Kioto zu gewinnen.“ Das Argument der Amerikaner, beim Klimaschutz nicht aktiv zu werden, solange die Entwicklungsländer nicht auch mitmachten, sei jetzt entkräftet. Denn diese Länder seien im Boot. „Das wird es für die Amerikaner schwer machen, die britische Initiative beim G-8-Gipfel abzublocken“, sagte von Weizsäcker.

Gerade zur rechten Zeit kommt das Dokument damit für den britischen Premier Tony Blair, der bei seiner G-8-Präsidentschaft die Gefahren durch den Klimawandel zu einem seiner Schwerpunktthemen machen will. JOCHEN SETZER