Freitod aus Angst vor Repressalien

Das Bonner Lesben- und Schwulenzentrum sowie das Kölner „Centrum Schwule Geschichte“ erinnern an den Selbstmordversuch des Franzosen Julio Maria Malbranche vor hundert Jahren in Bonn

Von Thomas Spolert

An der malerischen Bonner Rheinwerft sitzt ein junger Mann zusammengesunken auf der Bank. Er hat sich gerade zwei Kugeln in den Kopf geschossen. Doch Julio Maria Malbranche ist nicht tot, seine Verletzungen nicht lebensgefährlich. Passanten entdecken den Franzosen und bringen ihn ins Johannishospital. Der Selbstmord ist gescheitert. Nur der bekannte homoerotische Roman „Dédé“ von Achille Essebac, der neben Malbranche gefunden wird, weist auf seine Homosexualität hin – und auf den Grund seines Selbstmordversuchs.

100 Jahre ist dieser Vorfall her. Mit einer Gedenkveranstaltung erinnern morgen am Bonn Rheinufer das „Centrum Schwule Geschichte“ (CSG) und das Bonner Lesben- und Schwulenzentrum an das Schicksal von Malbranche und anderen Opfern der Schwulenfeindlichkeit in der Wilhelminischen Zeit.

„Der Freitod von Schwulen war in der damaligen Zeit nicht selten“, berichtet Erwin In het Panhuis vom Kölner CSG. Nach Untersuchungen des schwulen Sexualwissenschaftlers und Begründers der deutschen Schwulenbewegung, Magnus Hirschfeld, begingen rund ein Viertel der Homosexuellen zur Zeit des Kaiserreichs einen Selbstmordversuch. Drei Prozent der schwulen Männer brachten sich um, weil sie nicht mehr in der homophoben Gesellschaft des Kaiserreichs leben wollten. Andere „wurden Opfer von Erpressungen oder landeten vor Gericht“, umschreibt In het Panhuis die gesellschaftlichen Repressalien. Aufsehen in der damaligen deutschen Öffentlichkeit erregte die Verurteilung von Oscar Wild zu zweieinhalb Jahren Zwangsarbeit wegen homosexueller Handlungen im Jahre 1895.

Zwei Jahre später etablierte sich die deutsche Schwulenbewegung erstmals mit der Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). Zu schwulen Lebensläufen in Köln hat In het Panhuis viele Quellen gefunden. „Es gab bereits vor 1918 eine schwule Kneipe in Köln“, erzählt der Diplombibliothekar. Das Hohenstaufenbad und eine öffentliche Toilette an der Minoritenkirche waren bekannte schwule Treffpunkte. Doch die Lebensumstände der Schwulen waren von Erpressung, Prostitution und dem Paragraphen 175 geprägt.

„Ein typisches Beispiel für die damalige Zeit ist der Kölner Handwerker Theodor Widdig“, erzählt In het Panhius. 1903 wurde dieser von einem Mann erpresst, den er zuvor bei sich hatte übernachten lassen. Widdig zeigte den Erpresser an und bekannte sich vor Gericht zu seiner Homosexualität. Der Erpresser wurde zu drei Wochen Gefängnis verurteilt. Widdig hielt Vorträge über Homosexualität in Köln. Der offene Umgang mit seiner Homosexualität brachte ihm jedoch beruflich Probleme. „Weder die städtischen Straßenbahnen Köln, noch das Kölner ‚Monopolhotel‘ wollten den bekennenden Schwulen einstellen“, berichtet Erwin In het Panhuis.

Gedenkveranstaltung „Der Freitodversuch von Julio Maria Malbranche – Schwulenfeindschaft in der Wilhelminischen Zeit“, 2. Februar, 18 Uhr, Bonner Rheinufer „Am alten Zoll“