Holland-Unis in der Gebührenfalle

Die Niederlande, bekannt für stetiges und zielgerichtetes Reformieren, stoßen bei der Neujustierung des Hochschulsektors auf Probleme – wegen stark steigender Studiengebühren. Der Preis des Bezahlstudiums soll sich an manchen Unis verdreifachen

„Wenn einmal differenzierte Studiengebühren da sind,werden die meisten Fächer teurer,bis zu 5.000 Euro im Jahr“

VON FIETE STEGERS

Das Schlagwort vom „Harvard an der IJ“, dem Zulauf zum Ijsselmeer, war beim niederländischen Ministerpräsidenten Jan-Peter Balkenende schon beliebt, bevor sein deutscher Kollege Schröder die Elite-Universitäten für sich entdeckte. Diesem Ziel sind die Niederlande erheblich näher als Deutschland. Sieben Universitäten gehören zu den besten zwanzig Europas.

Für deutsche Bildungspolitiker macht sich das Nachbarland wie ein Paradies: „Die Niederländer hatten Mitte der Achtzigerjahre dieselben Probleme, die wir jetzt haben“, sagt Roland Richter, der für das Wissenschaftliche Sekretariat für die Studienreform in Nordrhein-Westfalen das Nachbarland beobachtet. „Dann hat man sich zusammengerauft.“

Seitdem gibt es in den Niederlanden statt komplizierter Länderhoheit wie in Deutschland alle zwei bis vier Jahre einen langfristigen Plan zur Hochschulentwicklung. Das Bildungsministerium stellt ihn erst auf, wenn Gespräche mit Hochschulen und Studentenorganisationen geführt sind. Der typisch niederländische Konsensweg. Bei den Nachbarn ist möglich, was hierzulande undenkbar wäre: Ausnahmslos alle Studenten bekommen eine monatliche staatliche Unterstützung, so genannte „basisbeurs“ von rund 230 Euro pro Monat, manche sogar mehr. Gleichzeitig sind aber auch Studiengebühren an öffentlichen Hochschulen seit langem akzeptiert. Unabhängig vom Fach betragen sie 1.476 Euro (2004/2005) pro Jahr.

Doch das neue Programm „Hoop“, übersetzt Hoffnung, ein Plan der Staatssekretärin im Bildungsministerium, Annette Nijs, scheint die Niederländer nun in die Bredouille zu bringen. Hoop wird der staatliche Hochschulentwicklungsplan abgekürzt. Er gibt ehrgeizige Ziele für die nächsten vier Jahre vor und darüber hinaus. Die EU-Länder sollen die weltweit stärkste „Wissensökonomie“ werden – die Niederlande sieht sich dabei als Zugpferd, das zu den Top-3-Ländern gehören will.

Die Unis sollen mehr Freiheit bekommen, sich ihre Studenten durch neue Zugangsregeln selber auszusuchen. Auch bei den Studiengebühren sieht das Hoffnunsgprogramm Hoop stärkere Unterschiede vor. Insbesondere für auf Bachelor aufbauende Masterprogramme soll mehr gezahlt werden, dafür dürfen Spitzenstudiengänge auch Spitzengebühren kosten.

Ab 2007 sollen dafür Studienkonten eingeführt werden – „Lehrrechte“ nennt sie die Regierung, um zu betonen, dass so die Studenten über ihre Nachfrage Einfluss auf die Unis ausüben können. Bei mehr als anderthalb Jahren über der Regelstudienzeit wird’s teuer. Gleichzeitig setzt die Regierung auf Studienkredite, die auch in Deutschland groß im Gespräch sind (siehe unten): Mehr Zeit fürs Studium statt Jobben, verspricht sie den Studenten. Die sind gegenüber solchen Darlehen aber skeptisch.

Erste Experimente mit strengerer Selektion und höheren Studiengebühren können bereits jetzt beginnen, hat das Parlament entschieden. Während Balkenendes Christdemokraten dagegen waren, stimmten neben ihrem rechtsliberalen Regierungspartner VVD und der Fortuyn-Liste auch die Sozialdemokraten dafür. Die größte Oppositionspartei war zuvor umgeschwenkt: Bei zusätzlichen Förderungen für die einzelnen Studenten und einer Koppelung an das spätere Einkommen hat sie keine grundsätzlichen Probleme mehr mit höheren Studiengebühren.

Das sieht zumindest ein Teil der Betroffenen ganz anders. „Puin Hoop“ oder „Trümmerhaufen“ heißt die Studenteninitiative, die gegen die Regierungspläne mobilisiert. Puin Hoop kritisiert zu viel Wissensökonomie und sieht zu wenig Wissensgesellschaft, der Trümmerhaufen bemängelt Reglementierung statt wissenschaftlicher Entfaltung. Die Initiative stützt sich auf ein breites Bündnis vom Niederländischen Studentenbund LSV und anderen Studentengruppen über die Sozialisten bis zur Jugendabteilung der Fortuyn-Partei. Sprecherin Kiko Luijten: „Mit den großen Zielen des Hoop-Plans stimmen wir ja durch durchaus überein.“ Aber die Maßnahmen würden vor allem dazu führen, dass weniger statt mehr Menschen studieren könnten.

„Wenn einmal differenzierte Studiengebühren da sind, werden die meisten Fächer teurer, bis zu 5.000 Euro im Jahr“, sagt Luijten. Breite Bildung über die Grenzen eines Studienganges hinaus oder ein Zweitstudium werden zusätzlich kosten. Außerdem hegen Studenten die gleichen Befürchtungen wie Gebührengegner in Deutschland: Studiengebühren seien ein Vorwand für den Staat, seine allgemeinen Bildungsausgaben zurückzuschrauben. „Unrentable“ Studiengänge würden wohl eingestampft. „Stattdessen brauchen wir mehr Förderung der einzelnen Studenten“, meint Luijten. Verpflichtend solle die Beratung allerdings nicht sein.

Auch der Verband der niederländischen Universitäten spricht sich für bessere Beratung aus und ist gegenüber den Hoop-Maßnahmen skeptisch. Linda de Greef von der Leitung der Universiteit van Amsterdam: „Wir wollen, dass jeder Student das für ihn richtige Bildungsangebot findet.“ Der Uni-Verband beklagt, dass der Staat für die ehrgeizigen Hoop-Ziele den öffentlichen Hochschulen mehr Geld zur Verfügung stellen müsse. Allerdings sind jetzt mehrere Unis aus der Verbandslinie ausgeschert. Die Vrije Universiteit Amsterdam etwa kann sich durchaus höhere Gebühren für einige Fächer vorstellen. Sie hofft, gerade dadurch ausländische Top-Studenten anzuziehen. Neben Maastricht will auch die große Universität Leiden spezielle Auswahlverfahren einführen. Dafür entwickelt sie einen Test nach US-Vorbild.

In Leiden hat man auch bereits seit 1997 mit bindender Beratung für Studenten experimentiert. Eine jetzt veröffentlichte Statistik zeigt jedoch keine Auswirkungen auf die Absolventenquote: Der niederländische Studentenverband LSV fühlt sich dadurch bestätigt. Zwangsberatung helfe nicht, freiwillige Beratungsangebote dagegen schon, meine die LSVler.

LSV-Vorsitzender Floris van Eik sieht seine Sache längst noch nicht verloren. Vom Nachfolger der aus anderen Gründen zurückgetretenen Staatssekretärin Nijs erhofft sich der LSV eine bessere Zusammenarbeit: „Wenn es Experimente mit höheren Studiengebühren bei Topausbildungen geben soll, dann muss endlich klar definiert werden, was eine Topausbildung ist und wie das Experiment ausgewertet wird.“ Bisher sei nur äußerst schwammig definiert, was der „deutliche Mehrwert“ sei, der höhere Gebühren rechtfertige, meint der LSV. Auch mit zurückrudernden Sozialdemokraten führt der LSV Gespräche.

Beobachter Richter geht davon aus, dass sich der niederländische Pragmatismus durchsetzt: „Die Holländer probieren so etwas erst einmal aus und machen dann ein Gesetz, wenn es etwas taugt. Ein Nachteil“, da gibt er den Studierenden Recht, „ist natürlich die stärkere Ökonomisierung der Bildung.“