„So geht es nicht weiter“

Der Komiker und Musiker Helge Schneider (49) über Protest gegen das Establishment, die Grenzen der Parteipolitik, das Gute im Bundeskanzler und die neue Ernsthaftigkeit

INTERVIEW STEFAN KUZMANY

taz: Herr Schneider, das ist ein schöner Hut.

Helge Schneider: Das ist ein Hut, den trägt man in Vietnam beim Mofafahren. Die haben da keine Helme, die haben dafür Hüte.

Ist das denn lustig, wenn Sie den jetzt aufhaben?

Da bin ich überfragt. Willste auch so einen Hut haben oder was?

Nein, danke. Ich frage nur, weil man immer sofort erwartet, dass alles, was Sie tun und sagen, lustig gemeint ist. Vorhin haben Sie gesagt, jetzt könnten Fragen zur Person oder zur politischen Lage gestellt werden – und alle haben gelacht.

Ja. Die denken alle, ich wäre doof.

Möglicherweise.

Ich habe genug zu sagen. Aber die lachen nicht deshalb, weil sie denken, ich hätte nichts zu sagen. Sie lachen, weil ich das gesagt habe. Weiter geht das erst mal nicht. Das ist nur ein spontanes Lachen. Das hat keinen besonderen Hintergrund.

Wenn Sie etwas sagen, wird sofort gelacht – egal, was Sie sagen. Geht Ihnen das manchmal auf die Nerven?

Nö, das gehört ja zu meiner Arbeit. Das ist ja eine große Erleichterung, wenn die Leute schon so weit sind, dass sie anfangen zu lachen. Aber das ist nicht immer so. Das liegt daran, dass ich mir in dem Moment, wo ich das sage, überlege, dass ich die jetzt zum Lachen reize. Das ist einfach so. Ich bin ja dann auch irgendwie so geworden.

Ich muss schon lachen.

Ich lache ja gerne.

Und die Leute lachen mit.

Genau.

Manchmal können Sie nicht lachen. Es gab ein Konzert in der Berliner Waldbühne, da standen ganz vorne zwanzig, dreißig junge Männer, die ständig „Helge, Helge!“ gerufen haben. Sie wirkten nicht amüsiert. Und brachen das Konzert frühzeitig ab.

Ich war von meiner eigenen Produktion genervt. Von der Idee, Rockmusik zu machen. Und dann diese Leute, die haben das nicht verstanden. Aber heute würde mir das so nicht mehr passieren.

Werden Sie jetzt mehr als Künstler wahrgenommen?

Nö, das liegt an mir selber. Heute würde ich damit anders umgehen. Heute bin ich einen Schritt weiter.

In einer aktuellen Pressemeldung Ihrer Produktionsfirma werden Sie als „lustiger Musikclown“ bezeichnet.

„Lustiger Musikclown“ finde ich eigentlich ganz gut. Obwohl ich kein Clown bin. Aber ich sehe mich mehr als Clown denn als, wie Leute früher geschrieben haben, Kabarettist. Ah, ich habe mich irgendwie versprungen. Ich musste einem vormachen, wie man steppt, und seitdem ist die ganze linke Seite wie gelähmt. Nerv eingeklemmt. Die Fresse tut mir weh. Naja, wo waren wir stehen geblieben? Clown? Kabarettist?

Jazzmusiker?

Ich bin Musiker, der damit sein Geld verdient, dass er seine Musik einbettet in seine Fantasien, in den Quatsch, in den Unsinn – also nicht Unsinn, aber in meine Komik. Ohne Musik wäre meine Komik nicht denkbar. Ich habe mich immer über Jazzmusiker lustig gemacht, über die Art und Weise, wie die sich präsentieren, so gewollt männlich. Habe ich immer drüber lachen können.

Sie haben einmal gesagt, die langen Haare hätten Sie aus Protest.

Ja ja.

Haben Sie nur so dahingesagt.

Nein, guck mal, früher, als ich fünfzehn war, da habe ich mir die Haare wachsen lassen. Da ist mein Vater nachts mit einer Schere in mein Zimmer eingebrochen und wollte mir die Haare schneiden. Allerdings hatte ich unterm Bett mit dem Fußball so was gebaut und stand dann auf dem Fensterbrett hinter der Gardine. Der hat dann die Bettdecke weg und dann war da nur der Fußball.

Aber jetzt kommt der Vater nicht mehr.

Nein, der lebt ja nicht mehr.

Und die Haare sind lang. Wogegen protestieren Sie? Wogegen kann man heute noch protestieren?

Gegen nichts.

Nichts.

Man denkt einfach: ich mach, was ich will. Früher waren die Haare mein ein und alles. In den späten Sechzigerjahren waren lange Haare wirklich … Das ist so, wie wenn heute Leute mit einem Hakenkreuz auf der Stirn herumlaufen. Die Leute haben da gekotzt. Die wollten einen an der Ampel totfahren. Die wollten einen tot haben. Jetzt, heute, kann ich das befreit trotzdem machen. Ich habe das damals gemacht, aus Protest und so, und die Haare haben mir ganz viel bedeutet. Und heute mache ich das, weil ich leger bin, weil ich cool bin. Einfach nur, weil ich das gut finde. Es ist vielleicht auch eine Rückbesinnung auf meine Wurzeln, auf die Zeit, in der ich angefangen habe. Aber nicht aus Protest gegen das Establishment. Aber irgendwie trotzdem doch auch. Nachträglich.

Gibt es denn ein politisches Ziel, für das Sie sich engagieren würden?

Politisch, würde ich sagen, gibt es im Moment ja überhaupt gar keine Ziele. Ich finde: philosophisch ist wichtiger. Und menschlich. Entwicklung ist wichtig. Menschlichkeit. Philosophie. Und Politik hat ja immer schon den Beigeschmack von Parteipolitik. Und das finde ich eine völlig undurchsichtige Geschichte. Parteipolitik ist ein zähes Organ. Sachen werden eingefordert aus purer Politikbesessenheit, nur um etwas anders zu machen, bloß um sich abzugrenzen. Wählerstimmen und so weiter. So geht es nicht weiter. Ich denke, Politik müsste eine größere Aufgabe haben. Parteiübergreifend. Dass Leute sich gemeinsam für etwas Gutes einsetzen.

Zum Beispiel, indem man seine Menschlichkeit zeigt mit Spenden nach Südostasien?

Nein. Das ist ein ganz einfaches Hilfsmittel, seine Menschlichkeit zu zeigen. Da hat der Zufallsgenerator die Menschen zusammengebracht. Optisch, nach außen. Das kommt mir ein bisschen gestelzt vor: Leute, die nichts damit zu tun haben, verbünden sich und wollen da helfen. Ich bin da sehr misstrauisch, was Hilfsprojekte angeht. Mit Geld alleine kannst du da nichts machen. Man muss, wie auch der Kanzler schon gesagt hat, Sachen machen.

Sind Sie ein Freund des Kanzlers?

Würde ich jetzt nicht so sagen. Der Kanzler ist ein Politiker und ich bin nicht unbedingt ein Freund von Politikern. Aber ich bin ein Freund von Menschen. Ich bin auch Mensch. Und ich sehe in unserem Kanzler auch einen Menschen. Und ich denke, dass er manche Sachen auch richtig macht. Oder sich richtig wünscht. Wobei die Politik wieder alles plattmacht. Die Politik lässt es einfach nicht zu, dass jemand ganz alleine entscheidet.

Sie halten es nicht für sinnvoll, zu spenden?

Ich versuche immer, an die Menschen zu denken, denen wirklich dieses Unglück geschehen ist. Habe auch Berichte gesehen, die zeigen, dass bei manchen überhaupt keine Hilfe ankommt. Klar, die Urlaubsländer sind am Knapsen, die Malediven haben keine Verträge mehr und so weiter. Deshalb setzen sich die Menschen hier dafür ein: die Infrastruktur dort ist von hier abhängig. Währenddessen sterben in Afrika ganze Stämme aus, hunderttausende sterben jede Woche an Hunger, da weiß keiner davon.

Kein Mensch interessiert sich.

Doch, dafür interessieren sich schon Menschen, aber nur diejenigen, die davon wissen. Für die Medien ist das aber nicht so gut zu verwerten. Dazu kommt noch, dass die Politiker in diesen Ländern es gerne sehen, wenn ihre Leute verhungern. Das interessiert hier keinen Menschen, weil da ja, in bestimmten Regionen, nichts zu holen ist. Außer vielleicht Brillanten. Dann kümmert man sich vielleicht darum.

Zur Zeit hört man viel von der „neuen Ernsthaftigkeit“. Können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen?

Das ist ein Werbegag. Das ist genau wie „Spaßgesellschaft“. Sobald es das Wort „Spaßgesellschaft“ gab, gab es eine Abgrenzung, gibt es Leute, die keinen Spaß mehr haben. Und dann sehe ich Leute mit diesen Hütchen herumlaufen und in Discos gehen – das soll dann die Spaßgesellschaft sein? Weiß ich nicht, was das sein soll. Und die neue Ernsthaftigkeit ist genau dasselbe andersherum. Sobald diese Kategorien aufgeworfen sind, ist jeder, der dazugehört, nicht mehr ernst zu nehmen. Und jeder, der nicht dazugehört, gehört nicht dazu. Das ist eine merkwürdige Geschichte, muss aber heute so sein. Sobald im Gespräch ist, dass es so etwas gibt, wird es salonreif …

und ist damit schon wieder vorbei.

Genau wie Punk. Fünf Jahre später, nachdem die ersten Punks ausgestorben sind, siehst du jede Oma mit diesen Stachelhalsbändern herumlaufen. Und das ist dann schick. Die gehen dann zur Kunstausstellung, haben so ein Stachelhalsband an, Piercing in der Zunge. Siebzig Jahre alte Verlegerswitwen. Und dann ist das Mode. So ist das eben.