Agenten-Angst

Weil er eine Liste mit möglichen Spitzeln besitzt, wurde der polnische Starjournalist Wildstein entlassen

Seit Tagen hetzt der polnische Journalist Bronislaw Wildstein umher, gibt Interviews, streitet in Fernseh-Talkrunden oder spricht in Mikrofone auf einer Demonstration, die seinetwegen stattfindet. „Nieder mit dem Kommunismus!“ haben seine Warschauer Unterstützer ihm zugerufen. Am vergangenen Samstag war Wildstein auf der Titelseite der bekanntesten Tageszeitung Polens, der Gazeta Wyborcza. Auf dem Foto hebt er beide Arme, seine Hände zeigen das Victory-Zeichen.

Gewonnen hat der 53-jährige Journalist aber noch nicht. Erst mal hat er seinen Job verloren. Die andere große Tageszeitung, die Rzeczpospolita, hat ihm, einem ihrer wichtigsten Schreiber, gekündigt. Sein Handeln, so Chefredakteur Gregorz Gauden, ein alter Bekannter von Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski, verstoße gegen die „journalistische Ethik“ und sei von der Öffentlichkeit als „politisches Handeln“ verstanden worden.

Wildsteins Vergehen: Er hat sich eine mittlerweile berüchtigte Liste, auf der rund 240.000 Namen stehen, beschafft. Er bekam sie von einem geheimen Informanten des Instituts für das Nationale Gedenken (IPN) – das polnische Äquivalent zur Birthler-Behörde. Vor jedem Namen steht eine Nummer, was bedeutet, dass über diese Person eine Akte im IPN existiert. Viel mehr Aussagekraft hat die Liste nicht, denn hier stehen ehemalige Agenten neben solchen Personen, die der Sicherheitsdienst als potenzielle Informanten im Visier hatte. Erst nach Akteneinsicht ist klar, was die Person genau gemacht hat. Panikmacher sprechen trotzdem von der „Agentenliste“.

Das IPN und mehrere Zeitungen erhielten zahlreiche Anfragen von besorgten Anrufern, die gehört hatten, ihr Name sei auf der Liste. Viele Polen fürchten Vorverurteilungen und Rufmord. Schnell kursierte die Liste im Internet, mehrere Redaktionen verfügen über sie – insgesamt also nichts Exklusives. Doch bald sind Wahlen. Und deshalb hat Wildstein die Liste unter Kollegen verteilt – um den Prozess der Überprüfung, die „Lustracja“, zu beschleunigen und ehemalige Spitzel vor ihrer möglichen Wahl zu enttarnen.

Wildstein verteidigt sein Handeln: „Ich habe immer betont, dass dies keine Liste mit Agenten ist.“ Wer seinen Namen auf der Liste sähe, der könne ja die Akte anfragen. Er will das kommunistische Erbe Polens endlich ausgeleuchtet sehen. Sein Elan hat auch private Gründe. Im Jahr 1977 wurde sein engster Freund, Stanislaw Pyjas, in Krakau beschattet und höchstwahrscheinlich vom Sicherheitsdienst ermordet. Ihm blieb ein zweiter enger Freund, Leslaw Maleszka, der allerdings im Jahr 1995 als Spitzel enttarnt wurde. Trotzdem darf Maleszka weiter für die Gazeta Wyborcza schreiben. „Sie waren zu dritt“, heißt ein bekanntes polnisches Lied über die Geschichte dieser drei Freunde.

Der Journalist Cezary Gmyz kennt Wildstein seit Jahren. „Ich kenne niemand, der so viel Mut hat. In journalistischer Hinsicht ist er für mich ein Held“, sagt er. „Die Tatsache, dass die Rzeczpospolita Wildstein entlassen hat, zeigt, was wir nie geglaubt hätten: dass diese Zeitung nicht unabhängig ist.“ MIA RABEN