Das Gespenst des Neonazismus

Der Erfolg der NPD beruht zu einem gut Teil auf der Unfähigkeit der etablierten Politik, sie zu bekämpfen. Wirksam ist die gesellschaftliche Ächtung rassistischer Gewalt

Ein Verbot wäre eine Kapitulation vor einer Hand voll Extremisten mit Allmachtsfantasien

Die NPD in Sachsen scheint in der Geschichte des Rechtextremismus etwas Neues darzustellen. Und etwas sehr Bedrohliches. Stimmt das?

Um die Chancen der NPD realistisch zu beurteilen, muss man genauer hinschauen. Bislang scheiterten Rechtsextreme stets in den Parlamenten – von den Republikanern über die Schill-Partei bis zur DVU. Die Landtagsfraktionen zerlegten sich verlässlich selbst und ihre Mitglieder überzogen sich mit Prozessen und Ausschlussverfahren.

Der NPD in Sachsen scheint es gelungen zu sein, dieses Muster zu überwinden. Auch wenn ein paar hundert Parteimitglieder eine eher schmale Basis sind, erweckt sie den Eindruck, dass sie in die soziale Mitte der Gesellschaft eingedrungen ist. Zudem zieht der Erfolg der NPD offenbar versprengte Reste rechtsextremer Parteien an.

Die NPD hat sich in den 90ern in eine aggressive Partei verwandelt, die offen für neonazistische Jugendsubkulturen ist. Auch darauf basiert ihr Erfolg. Sie war anschlussfähig an die Anti-Hartz-IV-Proteste und scheint die neurotische Fixierung der Rechtsextremen, den Zweiten Weltkrieg doch noch zu gewinnen, nach hinten gerückt zu haben.

All das ist richtig – aber nur eine Momentaufnahme. Die NPD mag wie ein Magnet Reste anderer Splittergruppen anziehen, doch ob diese rechtsextreme Begeisterung Wahlschlappen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen überstehen wird, ist offen. In die Anti-Hartz-IV-Kampagne hat sich die NPD nur parasitär eingeklinkt. Nichts deutet darauf hin, dass sie in der Lage wäre, eigenständig eine soziale Protestbewegung zu initiieren und zu kontrollieren.

Vor allem aber ist das von der NPD lauthals verkündete Projekt, eine rechtsextreme Volksfront zu bilden, höchst widersprüchlich. Die rechte Junge Freiheit, der man ansonsten selten zustimmen mag, schreibt, dass die NPDler „in ihrem harten Kern ein Transmissionsriemen einer bizarren neonationalsozialistischen Subkultur ist. Ihre Nähe zum Dritten Reich muss man nicht entlarven, sie bekennen sich offen dazu.“

Die NPD ist das Gegenteil des Modells Fini, der die italienischen Neofaschisten in Richtung einer etablierten rechtsbürgerlichen Regierungspartei entwickelt hat. Sie ist eindeutig antidemokratisch, antisemitisch und antibürgerlich. Auch wenn die NPD in Sachsen hier und dort stadtbekannte Fahrlehrer oder Ärzte zu ihren Funktionären zählt – der Spagat zwischen Neonazischlägern und bürgerlicher Klientel wird schwierig. Die „Neue Rechte“ jedenfalls kommt ihrem grau gewordenen Traum von einer deutschnationalen Partei, die den Weg der Grünen von rechts nachahmen könnte, mit der NPD nicht näher. Womöglich steht sie ihm sogar im Weg.

Nun mag die Idee, erst mal abzuwarten, ob die NPD nicht irgendwann an ihren Widersprüchen zwischen Militanz und Mitte zerbricht, wenig überzeugend sein. Aber mit etwas mehr Zurückhaltung kann man zumindest die Falle umgehen, die Partei bei jeder Gelegenheit zu etwas ungemein Wichtigem zu stilisieren. Und sie zu ignorieren ist zeitweise klüger, als bei jeder angekündigten NPD-Demo einen Krisenstab zu bilden, ein neues Versammlungsgesetz zu debattieren oder die aussichtslose Idee zu propagieren, dass man einer legalen Partei die Parteienfinanzierung entziehen kann. Der Erfolg der NPD beruht zum gut Teil auf der Unfähigkeit, sie zu bekämpfen.

Warum aber wirkt die politische Klasse derzeit so hyperventilierend? Manche scheinen von der Selbstermächtigungsfantasie mediokrer NPD-Funktionäre, die von „Sachsen als Keimzelle der Bewegung“ faseln, angesteckt zu sein. Wäre es nicht besser abzuwarten, ob die NPD in Schleswig-Holstein über ein, zwei Prozent kommt? Warum diese Mischung aus entsetztem Stottern und Aktionismus?

Offenkundig trifft die NPD-Mixtur aus SA-Sozialismus und Geschichtsrevisionismus das Selbstverständnis der Republik. Vielleicht hat Stoiber „1932“ nicht nur als Dramatisierungsfloskel benutzt, um der SPD zu schaden. Womöglich glaubt er wirklich, dass mit „1932“ das Heute beschreibbar ist – das wäre noch schlimmer. Es zeigt, wie tief die Verunsicherung reicht.

Zum Selbstbild der Bundesrepublik gehört die fundamentale Erkenntnis, in der NS-Zeit Täter gewesen zu sein. Das Bewusstsein, ein schuldhaftes Erbe zu tragen, ist ein paradoxer Teil der nationalen Identität geworden – paradox, weil es eine Art negativer Identität stiftet, die im Holocaust-Mahnmal ihren Ausdruck findet.

Die NPD greift diesen Konsens an. Neu ist dabei nichts: Hitler war ein „großer Staatsmann“, Auschwitz nicht schlimm, die „Reeducation“ eine jüdische Verschwörung; die Deutschen sind die wahren Opfer, die Ausländer schuld. All das ist Irrsinn, aller Abscheu würdig – und das seit 60 Jahren.

Doch offenbar wirkt es heute anders. Das mag damit zu tun haben, dass das Thema „Deutsche als Opfer“ diskursfähig geworden ist. Tatsache ist: Der NPD gelingt es, die Frage, wie stabil unser nationales Selbstbild ist, zu dramatisieren und damit Aufmerksamkeit zu gewinnen. Nicht die NPD ist das zentrale Problem – es sind eher die Unsicherheiten, die sie provoziert.

Die NPD-Mixtur aus SA-Sozialismus und Revisionismus trifft das Selbstverständnis der Republik

Hinzu kommt: Die NPD ist ein Feind dieser Republik. Auch das verstört. Demokraten sind es gewohnt, Konflikte weitgehend ohne Feinderklärungen mit Kompromissen zu lösen. Wäre es also nicht besser, die NPD doch zu verbieten?

Nein – und zwar unabhängig von den faktischen Problemen eines Verbotsantrages und den zwiespältigen Wirkungen der Illegalisierung. Ein Verbot wäre eine Kapitulation der demokratischen Öffentlichkeit vor einer Hand voll von Allmachtsfantasien angetriebenen Extremisten. Es wäre der Verzicht auf die Auseinandersetzung mit einem Feind – vielleicht lernt man politisch am effektivsten von dem, was man am heftigsten ablehnt.

Zu lernen wären sechs Basis-Regeln für den Umgang mit der NPD: Demokraten dürfen die NPD nicht als Waffe im parteipolitischen Zwist benutzen. Über die NPD reden soll bitte nur, wer Sinnvolles beiträgt und nicht bloß empört mit den Armen rudert. Verbote sind die Ultima Ratio politischer Konflikte – Verbotsdebatten täuschen nur vor, dass man ganz doll aktiv ist. Wichtiger, als sich auf das geschichtsrevisionistische Provo-Spiel der NPD einzulassen, ist es klar zu machen, dass die gegen EU und Weltmarkt gerichtete ökonomische Abschottungspolitik der NPD wirtschaftlich verheerend wäre. Mehr als Medienhysterie hilft die konsequente gesellschaftliche Ächtung und juristische Ahndung rassistischer Gewalt. Und: Abgeordnete, die mit der NPD stimmen, werden sofort aus Partei und Fraktion ausgeschlossen.

Lernprozesse, wie wir wirksam gegen unsere Feinde vorgehen, sind möglich. Ein Verbot würde die NPD nicht nur mit unverdientem Outlaw-Image adeln – es würde diese Lernprozesse abschneiden. So schwach, dass sie das nötig hat, ist diese Republik nicht. STEFAN REINECKE