DER CDU KOMMT DER GENOZID AN DEN ARMENIERN GERADE RECHT
: Brandenburgische Wertegemeinschaft

Was Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck ordentlich vergeigt hat, zieht nun Kreise. Erst führt eine türkische Intervention dazu, dass der Armenien-Genozid 1915/16, verübt im Osmanischen Reich, als einziges Beispiel für einen Völkermord aus dem Rahmenlehrplan für Geschichte gestrichen wird (der Holocaust ist ein eigenes Thema). Dann macht Platzeck, peinlich genug, das Ganze wieder rückgängig, weil nun armenische Vertreter gegen die Streichung protestierten. Und jetzt will der brandenburgische CDU-Generalsekretär den Genozid an den Armeniern auch in den Schulbüchern Berlins mit seinen vielen Kindern türkischer Herkunft berücksichtigt sehen.

So wird Geschichtspolitik mit dem Holzhammer Genozid zum Alltagsgeschäft. Dies war wohl absehbar, nachdem sich in den letzten Jahren historische Debatten immer stärker in den politischen Diskurs gedrängt haben. Erst recht bietet das Mega-Gedenkjahr 2005 mit „60 Jahre Auschwitz-Befreiung“, „60 Jahre Kriegsende“ und „15 Jahre deutsche Einheit“ auch Provinzpolitikern gerne den Anlass, einen kleinen gedenkpolitischen Skandal zu nutzen, um den politischen Gegner vor sich herzutreiben.

Abstoßend wird die Angelegenheit vor allem dadurch, dass Unionspolitiker auf diese Weise noch zwei andere Süppchen kochen wollen. Zum einen wird hier wie bei dem latent revisionistischen „Deutsche als Opfer“-Diskurs versucht, den Holocaust zu relativieren, nach der Pseudologik: Wenn andere Völker auch einen Genozid in ihrem Sündenregister haben, erscheint der deutsche Völkermord nicht mehr singulär und ganz so schlimm. Zum anderen ist die Versuchung gerade bei der Union offenbar groß, den Völkermord an den Armeniern gegen einen EU-Beitritt der Türkei zu funktionalisieren, mit dem schwachen Argument: Wer vor 90 Jahren so etwas anstellte und sich bis heute mit dieser Geschichte schwer tut, gehört nicht zur europäischen Wertegemeinschaft. Mit solch einer Begründung aber würde wohl die Hälfte der jetzigen EU-Mitglieder keinen Eintritt in den Staatenbund erhalten haben. Vor allem aber instrumentalisiert sie die Opfer eines Völkermords auf unerträgliche Weise. PHILIPP GESSLER