JENNI ZYLKA über PEST UND CHOLERA
: Wir lassen uns das Stapfen nicht verbieten

Wie mir Doktor Schiwago einmal erklärte, warum nur Schauspielerinnen schweben können

Habe neulich das „Making-of“ von „Dr. Schiwago“ gesehen. Abgesehen von einigen sehr desillusionierenden Fakten (Omar Sharif musste sich alle drei Tage per Heißwachs seinen Haaransatz aus der Stirn reißen und zwecks Mongolen-Effekt die Augenbrauen mit Klebeband hochpappen) offenbart es noch eine weitere erstaunliche Tatsache. Lara, die Geliebte von Juri Schiwago, die im Film von der feenartigen Julie Christie dargestellt wurde, war in Wirklichkeit eine rundliche, resolute, zahnbehaarte Frau in den besten Jahren. Was ein ganz neues und sehr sympathisches Licht auf den Romanvorlagen-Autor Boris Pasternak wirft. Wahrscheinlich hätte der Lara nicht mit Julie Christie besetzt, sondern mit Edda Seippel, die bei „Tadellöser und Wolff“ die Mutter Kempowskis gespielt hat. Und wer weiß, ob „Dr. Schiwago“ dann mehr oder weniger Oscars bekommen hätte.

Aber ach, hätte hätte Herrentoilette. Schließlich war ich damals nicht Hollywoods erfolgreichste Monumentalfilm-Casterin, sondern noch nicht mal richtig angedacht. Also höre ich sofort auf, mich darüber zu wundern, wieso Leading Ladies in den meisten Filmen so zart wirken, als ob sie beim Teekerzenauspusten schon ohnmächtig würden. Und als ob sie höchstens Schuhgröße 36 haben. Eine Ausnahme ist ein sehr merkwürdiger Charlie-Chaplin-Film, in dem er in einer – gar nicht lustig gemeinten – Szene zärtlich den Fuß einer badenden jungen Dame in die Hand nimmt, und es sieht aus, als wäre der Fuß doppelt so groß wie seine Hand. Ist er auch, denn Chaplin war ein Wicht mit Kinderpfoten, und die Badende war eine normale Frau, die nur gegen Chaplin wirkte wie aus „Attack of the 50 ft. woman“.

Was mich dorthin bringt, wohin ich eigentlich wollte. Ich habe neulich nämlich einen Film gesehen, in dem ich mitspiele, also keinen echten Film aus der „Dr. Schiwago“-Kategorie. Ein Freund hat sich eine Digitalkamera gekauft und dokumentiert seitdem alles, was nicht schnell genug auf dem Baum ist, wie ein Tourist beim Oder-Hochwasser. Normalerweise sehe ich mich höchstens mal auf Fotos, und da bewegt man sich ja nicht, beziehungsweise, wenn man es doch getan hat, ist das Foto verwackelt. Bei jenem kleinen, zufälligen Privat-Screentest aber habe ich festgestellt, dass ich nicht, wie ich immer dachte, elegant wie Julie Christie durch die Gegend gleite, sondern soldatenähnlich stapfe. Zuerst habe ich es auf die Schuhe geschoben, vielleicht muss man kleine, weiße, mit Perlen bestickte Schläppchen tragen, um standesgemäß tippeln zu können. Aber in einer Szene bin ich sogar barfuß und stapfe trotzdem. Meine zweite Überlegung war, dass ich wahrscheinlich schwere Lasten trage, was ein indianischer Fährtenleser sofort an meinen Stapfspuren erkennen würde: „Junge zarte Squaw mit schwere Sack auf Schulter“. Allerdings konnte ich bis auf die übliche Handtasche keine Lasten feststellen, und damit ist diese Theorie ebenfalls hinfällig. Meine letzte Erkenntnis ist: Ich stapfe durch das Leben, weil ich es kann.

Ich habe nämlich überhaupt keine Ambitionen, in einem Hollywood-Blockbuster mitzuspielen. Die ätherische Julie Christie würde bestimmt auch gerne einmal ein bisschen stapfen, um genauer zu zeigen, in welche Richtung sie eigentlich will, hin zu Dr. Schiwago oder zurück zu ihrem Oberkommunisten-Ehemann Strelnikow. Stattdessen schwebt sie, von ihren Leidenschaften getrieben, ein paar Zentimeter über dem Boden, obwohl natürlich meistens Schnee in Russland liegt und man gerade im Schnee hervorragend stapfen kann. Und wenn Julie Christie bei mir im Haus klingelte, würde ich sie erst hören, wenn sie oben im vierten Stock vorsichtig an meiner Tür scharrt. Mich kann man schon ab dem Erdgeschoss auditiv verfolgen.

Vielleicht hat Julie Christie auch einfach kleinere Füßchen, die weniger Geräusche machen. Aber die echte Lara, Boris Pasternaks Liebe seines Lebens, die konnte hundertprozentig richtig stapfen. Und bei einer Neuverfilmung von „Attack of the 50 ft. woman“ hätten sie und ich jedenfalls die besseren Chancen, das ist mal klar.

Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST UND CHOLERA Fragen zur Schuhgröße? kolumne@taz.de MORGEN: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN