Sex spielt sich im Kopf ab

Sie gilt als Expertin für das weibliche Begehren: Catherine Breillat, die den Talent Campus „Directing Sex“ geleitet hat. Doch wie man ein Mehr an Fantasie erzeugt, darüber wurde dort kaum geredet

Moralische Sortiermaschinen fordern ihren Zorn heraus

VON CLAUDIA LENSSEN

Es fing an mit drei Sesseln auf der großen, leeren Bühne, langer Wartezeit und Hannelore Elsner mitten unterm gut gelaunten Filmnachwuchs. Wie macht man das, Sex inszenieren? Auftritt von drei Frauen in Schwarz: die eine Fragenstellerin, die andere Übersetzerin, in ihrer Mitte die Regisseurin im praktischen Turnschuhlook. Mit ihren gesenkten Schultern wirkt Catherine Breillat erst mal wie eine müde gespielte Sporttrainerin. Dann aber wird aus dem Event eine Serie energischer, französisch gesprochener Monologe aufs Stichwort hin, von der unbekannten Übersetzerin punktgenau ins Englische übertragen. Der Star beherrscht die Welt der Worte. Beinahe automatisch gerät solch ein Event zur normativen Selbstdarstellung.

Catherine Breillat ist mit sieben Romanen und acht Filmen zur Expertin für Geschichten um das weibliche Begehren avanciert. Angefangen mit ihrem Buch „L’Homme facile“, das sie 1968 mit 17 Jahren veröffentlichte und das in Frankreich für Minderjährige verboten wurde, bis zu ihren Filmen „Romance“ (1998) und „À ma soeur“ (2000) hat sie mit ihren Arbeiten regelmäßig für Aufregung und Debatten gesorgt, zumindest in Frankreich. Sex, stellt sie klar, ist in jedem Menschen, ist das Zentrum unserer Identität. Sie besteht auf einem Kino, das nicht moralisch ist oder nur in dem Sinn, dass es mit Bedacht Tabus überschreitet.

Kopf und Körper gehören für Breillat zusammen. Die Zensur, die fundamentalistische wie die kommerziell motivierte, spaltet in ihren Augen Geist, Gefühl und Lust voneinander ab. Moralische Sortiermaschinen fordern ihren Zorn heraus, die Pressereaktionen auf ihre Filme im Grundton der Political Correctness und die Bildermaschine der Pornoindustrie sind für sie extreme Pole desselben Dilemmas: Begehren wird zensiert und weggeredet oder zum Schaustück degradiert.

Transgression und Transformation sind ihre Lieblingswörter. Am Ende wird sie, gefragt nach ihrer Definition vom Sex im Kino im Unterschied zur Pornografie, noch einmal groß ausholen: Pornos sollen geil machen, sie dagegen mache Fiktion, erzähle Geschichten, wolle Emotionen und Reflexionen wecken.

Drei Szenen aus „Romance“ werden eingeblendet – und kein Wort fällt zu den Geschichten, die doch ihr „Directing Sex“ beeinflussen. Dreimal Penetration, dreimal subjektiver Off-Kommentar: Marie, die Hauptfigur, will sich gegen Bezahlung lecken lassen und erlebt eine Vergewaltigung; sie lässt sich gynäkologisch untersuchen und erfährt das mechanische Doktorspiel einer Reihe von anonymen Medizinstudenten derart erregend, dass sich daraus der Traum einer anonymen theatralischen Massenorgie entwickelt. Und schließlich: Sex ohne Gefühlsverstrickung mit einem Zufallslover, den der französische Pornostar Rocco Siffredi verkörpert. Wie beide sich etwas müde um seinen Schwanz kümmern, damit das Kondom richtig sitzt, und Marie dabei über die Würdelosigkeit von dünnen Schwänzen räsoniert, ist in einer langen Einstellung eine der schönsten Szenen sexueller Intimität der letzten Jahre.

In allen drei Beispielen gibt es ein Mehr an Fantasie und Imagination als die pure abgebildete Körperlichkeit. Darüber hätte das Podium ja mal ins Gespräch kommen können. Vielleicht liegt da das Geheimnis, das Sex im Kino spannend macht. Der Star verlautbarte Ähnliches, indem immer wieder die Rede aufs Fiktionale kam. Aber leider blieb das Thema in der Aufregung über die Kritiker befangen, die von der jungen Schauspielerin Caroline Ducey wissen wollten, ob sie es tatsächlich getan habe und ob sie von der Regie dazu genötigt worden sei. Nein, davon könne keine Rede sein, alle Beteiligten würden ihre Drehbücher kennen und sich darauf einlassen. Es komme darauf an, mit dem Team eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle daran mittun, richtiges Kino zu schaffen, selbst wenn vor allem die männlichen Schauspieler an ihre Grenzen kommen.

Sex spielt sich im Kopf ab, Kino auch. Regisseure, sagt Catherine Breillat, sind dazu da, eine Verbindung zwischen beidem zu kreieren. Je mehr Skandal, desto besser. Die Frage, wie man Sex inszenieren kann, läuft bei ihr auf die Formel hinaus, dass man es tun müsse, schon allein aus Gründen radikaler Rebellion.