Wiederbelebung nach Tauchgang

Der Regie-Exzentriker Wes Anderson blickt in seinem ozeanischen Film „The Life Aquatic With Steve Zissou“ (Wettbewerb) in den Bauch der Komödie

VON STEFAN GRISSEMANN

Als das Kino noch ein Schlachtfeld war, komplett mit Liebe, Hass, Orchesterkitsch und Waffengewalt, da konnte man beim Erzählen gern auch ein wenig ausholen – und manchmal so hart zuschlagen, dass die Kundschaft im Parkett das dubiose Spiel, das mit ihr getrieben wurde, nicht mehr durchschauen konnte. Denn die Liebe der Angeschlagenen ist manchmal leichter zu erringen als die der Skeptiker. Aber die Tage der kühnen dramatischen Bögen sind vorbei: Von der großen Erzählung, dem gefühlsechten Kino-Epos mit Anfang, Mittelteil und Paukenschlagfinale, ist nicht viel geblieben – bloß tausend Ausweichmanöver, die vom Epischen zurück ins Episodische führen.

Der Texaner Wes Anderson, geboren 1969, im Jahr von Warhols „Blue Movie“ und Woody Allens „Take the Money and Run“, ist einer, der mit dem Verlust des Epischen ganz gut leben kann. Anderson feilt lieber, wie alle guten Manieristen, am Detail. Seine Filme sind Grotesken des Nebensächlichen, große gedämpfte Komödien, deren bizarrer Bild- und Sprachwitz sich stets am radikalen Understatement der Inszenierung bricht. Seiner jüngsten Arbeit hat Anderson, ein Liebhaber exzentrischer Eigennamen, nun den wunderbar weltfernen Titel „The Life Aquatic With Steve Zissou“ gegeben, den der deutsche Verleih leider in den schlichten Titel „Die Tiefseetaucher“ geändert hat. Der Titelheld ist ein renommierter Ozeanograf, der wie weiland Jacques Cousteau mit seiner Crew – Erkennungszeichen: rotes Wollmützchen – leicht fiktive Abenteuerfilme vom Leben unterhalb der Meeresoberfläche dreht. Dieser Mann sinnt auf Rache: Ein Hai unbekannter Art hat während der Dreharbeiten zu Zissous letztem Film seinen besten Freund zerrissen. Das fordert Vergeltung.

„The Life Aquatic“ ist nebenbei ein Kniefall vor Bill Murray, der als Conférencier, Oberlehrer, Tyrann und last action hero durch den Film führt. Murray legt seinen Zissou genau wie immer an, und das ist eine gute Nachricht: mimisch und gestisch reduziert, dabei offen für alles. Das lakonische Zusammenspiel der ungleichen Minimalisten Bill Murray und Owen Wilson, die beide zu Andersons Kernteam gehören, ist eine Hauptattraktion dieses bildschönen Films. Zwischen lauter ungeheuerlichen Ideen im Sixties- und Seventies-Look variiert er zudem ein Lieblingsthema des Regisseurs: die ramponierte Vater-Sohn-Beziehung. Dabei steht die nahe Verwandtschaft gar nicht fest: Den jungen Mann, den Wilson spielt, stellt Zissou bei einer Party abgeklärt als „probably my son Ned“ vor. Wenig später lädt er ihn großspurig ein, an der Hai-Jagd teilzunehmen („I want you on Team Zissou“), obwohl Ned alles andere als ein Wasservirtuose ist: Sein erster Tauchgang endet mit einer Wiederbelebung.

Die Ereignisse nehmen dennoch ihren jederzeit unabsehbaren Lauf, zudem kompliziert durch das Auftauchen einer schwangeren Aufdeckungsjournalistin (Cate Blanchett), in die sich Vater und Sohn verlieben. Nebenfiguren räumt Anderson übrigens ein Recht auf Prominenz ein: Willem Dafoe macht sich als Seebär auf dem heruntergekommenen Zissou’schen Ozeanriesen mit deutschem Akzent wichtig, Anjelica Huston langweilt sich höchst fotogen, und Jeff Goldblum gibt sich als übler Meeresforschungsgegenspieler dandyhaft-faschistoid. In Wes Andersons Kino gehören den Verlierern alle Sympathien, das ist seit seinem Debüt, seit „Bottle Rocket“ (1996) so.

Auf welcher Seite Anderson in Hollywood steht, macht ein heroischer Zwischenauftritt Murrays im Bademantel deutlich: Allein tritt er einer Gang gewaltbereiter Piraten entgegen, und kurzfristig entgleist „The Life Aquatic“ zur Genrefilmpersiflage. In einem programmatischen Bild blickt Anderson irgendwann in den geöffneten Bauch der „Belafonte“ und zeigt im Querschnitt das Leben der Zissou-Entourage unter Deck, die Arbeitsroutine in den Kajüten und den Low-Tech-Maschinenräumen. „The Life Aquatic“ entspricht diesem Bild selbst sehr genau: eine konsequent auf die Metaebene verschobene Komödie, das Modell eines Lustspiels, ein Blick ins Innere des Unterhaltungsfilmgetriebes. Fantasterei und Aufklärung gehen hier ineinander auf. Das ist die Courage des paradoxen Mr. Anderson: Nicht nur der schöne Traum liegt ihm am Herzen, sondern auch die Skepsis derer, die er träumen lässt.

„The Life Aquatic …“. 16. 2., 12.30 und 19.30 Uhr, Berlinale Palast; 17. 2., 12 und 18.30 Uhr, Urania; 22 Uhr,International