Koitus mit einer Leiche

In sexuell ausschweifenden Bildern erzählt Tsai Ming-Liang in „The Wayward Cloud“ (Wettbewerb) von der zarten Liebe eines Pornodarstellers zu seiner Nachbarin

Leicht wird es peinlich, wenn man bei der Berlinale mit hunderten von Menschen einem Sexfilm zuschaut. Die Intimität dessen, was auf der Leinwand geschieht, ist ja schon deshalb gebrochen, weil man weiß, dass all die anderen sehen, was man selbst gerade sieht. Es wird auch häufiger gekichert, wenn eine kinky Szene kommt, bei der Melonen eine Rolle spielen.

„The Wayward Cloud“ ist die Geschichte einer zaghaften Liebe, die sich ohne Worte entwickelt, nie recht zueinander findet und am Ende scheitert. Der taiwanesische Regisseur Tsai Ming-Liang zeigt den glücklosen Weg des Paares in sexuell ausschweifenden Bildern: Durch Zufall lernt der Pornostar Hsiao-Kang seine Nachbarin Chen Shiang-Chyi kennen, als in der Stadt Wassermangel herrscht. Die beiden helfen sich gegenseitig, später kochen sie auch zusammen. Danach geht er zurück in seine Wohnung und dreht Hardcore-Filme unter der Dusche, während sie das Stöhnen nebenan hört. Gerne würde sie mit ihm schlafen, aber es bleibt bei Annäherungsversuchen. Zuletzt findet sie seine Filmpartnerin tot im Hausflur und wird Zeugin, wie er mit der Leiche kopuliert. Doch zum Orgasmus kommt er in Shiang-Chyis Mund.

Der Sex ist also vor allem ein Vehikel für die Darstellung von Einsamkeit und Entfremdung. Mit der Zeit werden die Übergänge fließend, die den Körper, der begehrt wird, und den Körper, der mechanisch funktioniert, voneinander trennen. Im Moment der größten Zuneigung tanzt sie marionettenartig und wie betäubt auf seinen Füßen – nur um kurz darauf die fremde Tote aus dem Fahrstuhl zu schleppen. Die Kamera wird in diesen Prozess aus Anziehung und Abstoßung einbezogen, wenn sie die Enge des Hochhauslabyrinths noch durch vertrackte Spiegelwirkungen steigert.

Manchmal lässt Tsai seinen Figuren auch einen Freiraum. Dann werden ihre Träume sichtbar, dann verwandelt sich das Set in eine Musicalbühne, und zu rührenden Sixties-Melodien albern die Pornodarsteller in einer Vaudeville-Show herum. Die Fantasien sind Ornament, sie geben dem Nichtzueinanderfindenkönnen eine Form, fügen sich wie die Wolken im Titel des Films lose zusammen. Das macht die sezierende Optik der Pornografie zwar nicht ungeschehen. Aber man vergisst für einen Moment die Macht, mit der sie bei Tsai den Blick auf Körper zurichtet. HARALD FRICKE

„The Wayward Cloud“. 16. 2., 22.30 Uhr, Berlinale Palast, 17. 2., 15, 23.30 Uhr, Urania, 20 Uhr, International