Draußen bleiben

Allein unter Junggesellen: In „Durchfahrtsland“ (Forum) porträtiert Alexandra Sell vier Menschen in der Provinz

Die Provinz ist ein wilder, gefährlicher Ort. Es ist eine viel größere Herausforderung, sich in ihr zurechtzufinden als in einer Großstadt. Das ahnten wir schon lang – und der Dokumentarfilm „Durchfahrtsland“ von Alexandra Sell liefert endlich den Beweis.

Vier Figuren aus einer Handvoll Dörfern rund um Köln – eine Gegend, die sich Vorgebirge nennt, ohne dass hinter dem Vorgebirge ein Gebirge käme – hat sich Alexandra Sell vorgenommen zu porträtieren: den Pfarrer Hans Wilhelm Dümner, die Krimiautorin Sophia Rey, den Schüler Mark Basinsky, den Soldaten Guiseppe Scolarion. Sie alle leben hier ganz gern, sie alle gehören aber auf ihre Art auch nicht ganz dazu, wirken immer ein wenig abwesend und angeschlagen, müssen Tag für Tag neu darum kämpfen, den Eingang zu finden – auch wenn sie manchmal nicht so ganz genau zu wissen scheinen, wohin dieser Eingang eigentlich führen soll.

Da ist zum Beispiel Herr Dümner, der katholische Pfarrer. Er ist – wie die meisten Pfarrer – bloß zugezogen. Misstrauisch wird er beäugt. Dass er außerdem der Pfarrer für zwei Nachbardörfer sein soll, die sich sonst gegenseitig bekriegen, macht die Sache eher schlimmer. Wir sehen Herrn Dümner mit seinem schmalen Mund. Wie er im Pfarrhaus mit seiner Mutter spricht. Wie er zur Kirche geht. Vor allem aber hören wir immer wieder die Stimme Alexandra Sells aus dem Off. Wie eine Märchenerzählerin erklärt sie uns, wie es war, als Herr Dümner ins Vorgebirge zog. Dass sich bereits heute das Versagen seiner Stimme ankündigt, das ihn in ein paar Wochen, wenn die heiße Saison mit Karnevalsumzügen und katholischen Feiertagen beginnt, lahm legen wird. Wie er sich also gerade fühlt, als er etwas ganz anderes in die Kamera sagt.

Mitten im Interview blendet Alexandra Sell immer wieder ihren Protagonisten die Stimme weg, fällt ihnen ins Wort und dringt wie ein auktorialer Erzähler aus dem 19. Jahrhundert in ihr Innenleben. Einmal erzählt zum Beispiel der Schüler Mark Basinsky, ein sensibler Junge, der gern Modedesign studieren würde, was ihn an moderner Kunst interessiert. Obwohl er sonst immer völlig fehl am Platz wirkt, so allein im Junggesellenverein: Jetzt, da er über sein Kunstverständnis sprechen darf, ist er zum ersten Mal bei sich. Ausgerechnet da mischt sich Alexandra Sell ein und erklärt, dass Mark diesen Druck in der Brust spürt. Dass er schon, wo er noch über sein Liebstes spricht, die kommende Rippenfellentzündung spürt. Es grenzt an Zauberei, dass man sich das als Zuschauer gefallen lässt. Wie ist es nur möglich, dass man seine Protagonisten so bevormundet und dabei derart ihre Würde bewahrt?

Es wird wohl daran liegen, dass Alexandra Sell die Sorgen ihrer Protagonisten so blutig ernst genommen hat. Und wirklich: Sie haben es ja auch schwer.

Was könnte schlimmer sein: Man lebt an einem Ort, an dem man unbedingt leben will oder muss, und man kommt einfach nicht rein. Und es gibt keine Alternativen. SUSANNE MESSMER

17. 2., 19.30 Uhr, CineStar 8, 18. 2., 14 Uhr, Delphi, 19. 2., 15.30 Uhr, CinemaxX 3, 20. 2., 17.30 Uhr, Arsenal