Zwischen den Spiegeln

Über das erste Mal in der Klappe, Berliner Drag Queens und den modernen Dandy Peter Berlin – ein Überblick über die „Teddy“-Filme der diesjährigen Berlinale: die schwul-lesbisch-transidentischen Filme quer durch alle Sektionen des Festivals

VON DETLEF KUHLBRODT

Seit 1987 wird auf der Berlinale der „Teddy“ verliehen: als Preis für einen besonders schönen schwul-lesbischen Film. 2002 erweiterte der „Teddy“ sein Spektrum und wurde zum schwul-lesbisch-transidentischen Filmpreis (queer film award at the berlinale). Der „Teddy“ ist die einzige Auszeichnung für derlei Filme, die auf einem großen internationalen, nicht explizit homosexuellen Filmfestival verliehen wird. Vor 20 Jahren waren diese Filme eher selten. Diesmal gab es in den unterschiedlichen Berlinalesektionen 39 Filme schwul-lesbisch-transidentischen Inhaltes, in fünf Kategorien geordnet: G: Gay, L: Lesbian, T: Transgender, GS: Gender Studies/Role Models, C: Queer Context. So viel zum Kontext des Teddyfilms.

Anfangs genervt, fand ich die Teddyfilme dieses Jahres immer interessanter. Wobei die nervigen Filme auch wieder sehr lehrreich waren. Beispielsweise „Fucking different!“, eine aus 15 Kurzfilmen bestehende Kompilation, bei der schwule Filmemacher etwas über lesbische Liebe machen sollten und umgekehrt. Das meiste war gruppenschrill, also superbieder und alles andere als anders; vieles war so strukturiert wie diese Foto-Lovestorys in der Bravo: mitgucken, sich was vorstellen und dann passiert etwas oder das Objekt der Wünsche geht seiner Wege.

Ein Filmchen in dieser Kompilation war allerdings super – eigentlich war es allerdings gar kein Film, sondern nur eine auf die schwarze Leinwand gesprochene Erinnerung. Es ging um das erste Mal, in der Klappe mit 15, mit diesem älteren Typen, der Tony hieß, und darum, wie superschnell das ging und wie schön das doch war. Beim Gucken dachte man an diese Momente, in denen man zum ersten Mal seine Angst überwunden hatte. Diesem Moment der Intimität verweigern sich die meisten Menschen, sie können oder wollen nicht davon erzählen, vielleicht weil ihnen das zu intim ist oder weil sie sich so sehr wie souveräne Abteilungsleiter ihrer Sexualität fühlen (wollen). Und genau dies ganz altmodische Element von Angst, Unsicherheit, Intimität und Überschreitung fehlt komischerweise häufig auch in schwul-lesbischen Filmen – als wenn sie sich dafür schämten und nur die Gegenwart sexuellen Austauschs gelten ließen und keinen Sinn dafür hätten, dass Sex eben vor allem auch „Nostalgia for Sex“ (Andy Warhol) ist.

Möglicherweise passen die Filme und die eigenen Erwartungen einfach auch nicht zusammen: Nicht das normale Herr-im-eigenen-Haus-Getue, sondern diese transgressiven Momente hatten einen als Heterosexuellen am Homosexuellen ja interessiert. Von den Momenten der Überschreitung hatte man sich Freiheit versprochen; die Promiskuität vieler Schwuler war einem bewundernswert und mutig erschienen, nicht die alltägliche Praxis, diese ganz normale Spießigkeit, der man in vielen Filmen begegnete. Ist aber auch gut so, wie es ist.

Aber zunächst ist es schon komisch, dass die Teddyfilme der kleinstädtisch unangekränkelte Hort von Harmonie und selbstbewusster Sexualität zu sein scheinen, mit fast durchgehend positiven Helden, die ihre „andere“ sexuelle Orientierung vorbildhaft bewältigten, während im künstlerisch wertvollen Film die Heterosexualität oft problematisch ist. In der Realität, in der die Nichtgroßstädter leben, ist es andersrum, denkt man sich. Jugendliche, die entdecken, dass sie anders sind, durchleben, wenn sie nicht sehr stark sind, oft richtige Katastrophen. Und deshalb sind die positiven Helden auch wieder ganz okay.

Es gab zudem einige ganz großartige Filme. Zum Beispiel „Gender X“ von Julia Ostertag. Der Dokumentarfilm erzählt von Berliner Drag Queens, Männern, die sich mehr oder weniger wie Frauen fühlen und in tollen Fummeln rumlaufen. Manche lassen sich auch umoperieren, legen Platten auf, singen und machen richtig wilde Partys. Der Film erinnerte an die queeren Anteile progressiver Musik seit den 70er-Jahren – von Velvet Underground über David Bowie, Punk, Psychic TV, Grace Jones, Divine, House und Techno etc., und er erinnerte an vergessene Geschlechterutopien der 70er: daran, dass das zwischen den Geschlechtern Changierende damals – im Glamrock etc. – Mainstream war.

Außerdem fühlte man sich in dem tollen Dokumentarfilm „That Man“ über Peter Berlin total heimisch, vielleicht weil man selber in den 70ern Teenager war. Der aus Deutschland stammende, in Kalifornien berühmt gewordene Fotograf, Filmemacher und Selbstdarsteller wurde „die Greta Garbo des schwulen Pornofilms“ genannt und war einst so berühmt wie Tom of Finland. Er drehte und fotografierte ohne Team, verweigerte sich vielem und wirkt wie ein moderner Dorian Gray. Für Schwule war er Sex-Ikone; sein Sexleben spielte sich aber nur zwischen Spiegeln ab, er schlief mit niemandem; sein Sex erschöpfte sich in Posen – Klasse und endlich mal was anderes! Und vielleicht wird genau das, also Sex ohne Anfassen, das Teddy-Thema der nächsten Jahre werden.

Sehr gut gefiel mir auch der Spielfilm „Transamerica“ von Duncan Tucker, der von einer konservativen Transsexuellen erzählt. Kurz bevor sie am Ziel ihrer Träume ist, der Geschlechtsumwandlungsoperation, bekommt sie einen Anruf aus dem Knast. Am Apparat ist ihr 17-jähriger Sohn, von dem sie gar nichts wusste. Der Sohn ist prima, nimmt Drogen und lutscht Schwänze für Geld. Sie zahlt die Kaution und fährt mit ihm durch Amerika, um ihn irgendwie unterzubringen. Das Tolle und Außergewöhnliche an dem Film ist, dass seine Heldin so unsicher und spießig ist; dass ihr Leben eine einzige Lüge ist, aus der sie nur langsam rausfindet.