In den Klauen der SPD

Einen schreibenden, aber unpolitischen Treckerfahrer für den Wahlkampf in Schleswig-Holstein einspannen, das schaffen nur die Sozis. Denn am Ende winkt bekanntlich der Nobelpreis für Literatur

VON MATTHIAS STÜHRWOLDT

Schon immer habe ich den Wahlkampf gehasst. Das war schon mit 18 so. Es ging um den Bundestag. Meine Flamme sagte, ich könne nur weiter mit ihr zusammen sein, wenn ich den CDU- Wahlkampf sabotiere. Also schlich ich mich nachts zum riesengroßen Kohl-Plakat und übermalte die zwölf Quadratmeter mit einem dicken schwarzen Edding. Ich brauchte die halbe Nacht dafür und fror mir dabei fast die Füße ab. Als ich es Anne am nächsten Tag zeigen wollte, war das Plakat nicht mehr da. Einfach weggeflogen. Es hatte nachts noch ziemlich gestürmt. Kohl gewann trotzdem, und Anne schickte mich in die Wüste.

Unvergessen auch die Wahlempfehlungen, die mein Vater mir gab. Nach dem Melken, beim Abendbrot, guckte er mir tief in die Augen, dann begann er seine Informationsveranstaltung: „Die Grünen, die kann man nicht wählen. Die wohnen alle in …“, und er packte all seinen Ekel in das Wort: „Wohngemeinschaften!“ Und die Sozis? „ In Wahrheit alles Kommunisten. Die wollen uns das Land wegnehmen, uns enteignen!“ FDP? „Ein Haufen kleinwüchsiger, humpelnder Adliger …“ Nur eine einzige Partei blieb bei meines Vaters Politikerschelte außen vor. Aber die wählte ich nicht.

Den Wahlkampf habe ich immer verabscheut. In trostlosen Fußgängerzonen herumzustehen und halb wahre, halbgare Flugblätter zu verteilen – das war so ziemlich das Letzte, was mir zum Thema „bevorzugte Freizeitbeschäftigung“ einfallen würde. Lieber mistete ich den ganzen Tag verdreckte Kälberställe aus.

Lobby der Langsamen

Aber jetzt haben die Sozis mich reingelegt. Irgendwann klingelte das Telefon. Es meldete sich der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Probsteierhagen. Er wolle eine Veranstaltung machen zum Thema: „Slow Food statt Fast Food, Geschmack hat eine Lobby“. Nicht schlecht, dachte ich. Alles, was slow ist, kommt meinem Temperament sehr entgegen. Der Vorsitzende sagte, sie könnten gut noch einen Programmpunkt zur Auflockerung gebrauchen, ob ich wohl bereit wäre, an jenem Abend ein paar meiner kurzen Geschichten aus dem Buch „Verliebt Trecker fahren“ vorzulesen? Ich fragte: „Hat die Veranstaltung irgendetwas mit Wahlkampf zu tun?“

„Ach was, es gibt von einem Slow-Food-Koch eine Einführung ins Thema und danach einen kleinen Imbiss. Moderiert wird der Abend von einem SPD-Landtagsmitglied, der auch gern langsam isst.“ Nach einer kleinen Honorarverhandlung sagte ich zu.

Als ich in Probsteierhagen ankam, blickte ich zunächst auf ein riesiges HE!DE-Plakat. Überall liefen Sozis mit ihren bekloppten roten Kunstfaserschals rum. Ich ging zum Vorsitzenden: „Ich denke, das hier ist kein Wahlkampf?“ – „Na ja, nicht direkt, aber ein bisschen schon …“

Ich überlegte kurz. Ich hatte ein paar Bauern gesehen, die nur wegen mir gekommen waren. Die gehen sonst nicht zur SPD, wegen der Enteignung. „Ich bleibe nur, wenn ich jeden Soziwitz erzählen kann, der mir einfällt! Und das sind einige!“ Er nickte: „Das können wir ab!“

Ich blieb. Der Landtagsabgeordnete hielt eine fürchterlich langweilige Rede. Dann kam der Koch. Ein toller Typ, den hätte ich sogar gewählt. Das Essen war prima. Zum Schluss, als um des Klischees willen der toskanische Rotwein ausgeschenkt wurde, war ich dran. Schnell waren die Roten blau. Sie waren gut gelaunt; sie lachten über meine Texte, sogar über die Sozi-Witze. Als die ersten Buddeln Rotwein leer getrunken waren, wurden vor Begeisterung rote Schals auf die Bühne geworfen. Ganz ehrlich: Rote Unterwäsche wär mir lieber gewesen.

Knoten im roten Schal

Irgendwann wollte der Landtagsabgeordnete nach Hause. Er bedankte sich bei allen, den Gästen, den Sozis, dem Koch und bei mir. Als ich für einen Augenblick nicht aufpasste, knotete er mir einen roten Schal um den Hals. Das Ding war so sehr elektrisch aufgeladen, dass ich es nicht los wurde. Es klebte an mir wie Pech. Schnell machten sie ein Foto. So also bin ich zum SPD-Wahlkämpfer geworden.

Es gibt nur eine Rechtfertigung für diese Verfehlung. Ich stehe zum ersten Mal in einer Tradition großer Literaten. Lenz, Grass und ich weiß nicht wer noch – sie haben alle für die Sozis Wahlkampf gemacht. Ich bin jetzt dabei in diesem Club der toten Dichter. Vielleicht werde ich ja auch bald für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen …

Matthias Stührwoldt, 37, aus Stolpe, Kreis Plön, Schleswig-Holstein, ist Landwirt und Autor des Buches „Verliebt Trecker fahren“