Mein Vater, der große Unbekannte

Historische und gefühlte Wahrheit der NS-Zeit: „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ von Malte Ludin (Panorama)

Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen bildet die Perspektive der NS-Täter immer noch eine seltsame Leerstelle. In der 87-minütigen Dokumentation „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ zeichnet der Regisseur Malte Ludin anhand seiner eigenen Familiengeschichte nach, warum das so sein könnte. Der Film ist ein Erinnerungsporträt des unbekannten Vaters Hanns Elard Ludin, der als Gesandter des Deutschen Reiches in der Slowakei an der Deportation der Juden beteiligt war und nach Kriegsende zum Tode verurteilt wurde.

Was Malte Ludin von seinem Vater erfährt, zerfällt in zwei Perspektiven: der NS-Repräsentant als Täter und das Familienoberhaupt als Opfer der Geschichte. In einer Kiste mit Fotos und schriftlichen Hinterlassenschaften, in Archiven, in Film- und Tondokumenten der Zeit sucht der Sohn die historische Wahrheit. Seine Rekonstruktion der Vaterfigur bleibt dabei holzschnittartig und distanziert: „Befehle empfangen, durchführen, geben, das war mein Vater gewohnt.“ Ein exotisches Wesen, das in den Aufzeichnungen seiner SA-Reden von „unserer Sklaverei“ und dem Wunsch nach Wiederherstellung der Ehre Deutschlands „und dem Glück unserer Frauen und Kinder“ schwadroniert. Noch in seinem Gnadengesuch beharrt der Vater auf seiner Unschuld: „Ich habe im Rahmen der Möglichkeiten gehandelt.“

Doch wie die Einzelinterviews mit der Mutter und den Geschwistern zeigen, gibt es in der Familie Ludin emotionale Widerstände, sich mit der NS-Täterschaft auseinander zu setzen. Unbefangen sprechen die Schwestern von ihren Sehnsuchtsgefühlen nach dem verlorenen Vater und suchen bis heute nach Gründen, ihn von seiner historischen Schuld freizusprechen: „Man kann aus den Unterlagen nicht erkennen, dass Vater wusste, was mit den deportierten Juden geschah.“ Der Begriff „Täterkinder“ stößt bei ihnen auf wenig Anklang. „Ich sehe mich als Kind eines Opfers dieser Zeit“, sagt Ludins große Schwester und reagiert gereizt, wenn der kleine Bruder nachhakt: „Du spielst dich jetzt hier auf, Maltechen, als Rächer der Entrechteten.“

Wer will den Angehörigen ihre idealisierende Liebe zum Nazi-Vater verdenken? Und doch wirkt es geschmacklos, wenn die unbeirrte Trauer öffentlich gemacht wird und damit auch den Kriegsverbrecher bezeichnet. Der Regisseur, der selbst an der Schuld seines Vaters keinen Zweifel lässt, mag das gespürt haben. Ausgleichend sucht er daher auch das Gespräch mit überlebenden jüdischen Zeitzeugen. Doch bis zum Ende lassen sich historische und gefühlte Wahrheit nicht versöhnen. Und so ahnt man schließlich einen Zusammenhang von dem Bedürfnis nach unbescholtenen familiären Bezugspersonen und dem Verschwinden der deutschen Tätergeschichten.

JAN-HENDRIK WULF

„2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“. 20. 2., 12.00 Uhr, CineStar 7