Schon lange ein Star

Julia Jentsch – Gewinnerin des Silbernen Bären für die Rolle der Sophie Scholl – bleibt weiter bescheiden

MÜNCHEN taz ■ Der gegenwärtige Trubel um Julia Jentsch scheint ein wenig zu groß für sie. Schon als sie 2004 den Bayerischen Filmpreis für die Rolle der Jule in Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“ in Empfang nahm, zeigten sich Beobachter von ihrer Schüchternheit berührt. Dabei ist Schüchternheit nicht das richtige Wort. Es ist eher eine Art sympathische Normalität, die selten ist im Metier.

Größer als sie selbst ist Julia Jentsch nur für ihre Film- und Theaterfiguren. Und da ist sie momentan die Allergrößte: Drei Hauptrollen in Kinofilmen hat sie allein in den letzten drei Monaten gespielt: In den „fetten Jahren“ gibt sie den weiblichen Part eines politisierten Dreiergespanns, das den Reichen die Möbel verrückt – und wurde dafür in Cannes gefeiert. In Hans W. Geißendörfers „Schneeland“ wird sie von ihrem Film-Vater misshandelt und flieht in die Liebe. Dann kam die Berlinale und mit ihr „Sophie Scholl – die letzten Tage“. Für ihre eindringliche Darstellung der 21-jährigen Widerstandskämpferin erhielt Julia Jentsch am Samstag den Silbernen Bären.

Und es passt zu ihr, dass sie ihn schon vor der Preisverleihung abgeholt hat. Denn am Abend stand wieder Theater auf dem Programm. Und da ist die gerade 27-Jährige schon lange ein Star. Seit 2001 gehört sie zum Ensemble der Münchner Kammerspiele, wo sie in Enda Walshs „Bedbound“ gleich zu Beginn ein gelähmtes, ans Bett gefesseltes Mädchen spielte. Sie schenkte sich nichts, litt wie ein Hund und wurde von der Zeitschrift Theater heute zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt. 2003 irrlichterte die Berliner Juristentochter, die an der Hochschule Ernst Busch ihre Schauspielausbildung absolviert hat, als leuchtende Desdemona durch Luc Percevals finstere „Othello“-Inszenierung.

Doch der Liebling des Münchner Publikums ist sie als Antigone: schön, stolz, zornig, zärtlich; eine mit Zivilcourage, die wie Sophie Scholl in den Tod geht für das, woran sie glaubt. Nicht klaglos, aber aufrecht. Bei solchen Gelegenheiten entringt sich dieser wunderbar uneitlen Schauspielerin des Öfteren ein Schrei, den man dann lange nicht vergisst. Einen solchen Schrei gibt es auch in „Sophie Scholl“: Eben hat die Studentin erfahren, dass sie noch am selben Tag hingerichtet werden soll. Betrachtet die Zelle, ihren Körper, atmet ein – und schreit. Allein dafür hat Julia Jentsch den Silbernen Bären verdient. SABINE LEUCHT