Erste Gehversuche in Sachen Protest

Mit einer neuen Bewegung will eine Gruppe von Moskauer Studenten ihre Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin öffentlich machen. Proteste vernetzen heißt die Devise. Gleich Gesinnte in St. Petersburg werden von der Unileitung bedroht

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

„Auf leises Meckern versteht sich Russland bestens“, spöttelte Katharina II. Seit jeher verlassen sich russische Herrscher auf die sprichwörtliche Langmut ihres Volkes. Selten führt Unzufriedenheit auch zu organisiertem öffentlichem Protest. Ratlos reagierte der Kreml daher, als im Januar tausende Rentner und frühere Leistungsempfänger gegen die Abschaffung sozialer Vergünstigungen demonstrierten.

Der Zorn der Rentner entfachte auch den Widerspruchsgeist der studentischen Jugend. Zunächst waren es Internetauftritte, mit denen Studenten auf sich aufmerksam machten. Nach einem Monat sind daraus in Moskau und Sankt Petersburg Keimzellen des Widerspruchs geworden, die die Kritik am Regime Putins in die Öffentlichkeit tragen wollen.

„Es sind erste Gehversuche“, meint Alexander Korsunow, der vor einem Monat die Website „Skaschi njet“ (Sag nein) ins Leben rief. Dort sind an die 90 Städte aufgeführt, in denen Protestaktionen stattgefunden haben. Gerade den Menschen in der Provinz soll die Site Mut machen und das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Wo die Bürger allein auf staatliche Sender angewiesen seien, erführen sie kaum etwas über die tatsächlichen Vorgänge im Land. „Wir zeigen, dass Russland brennt“, meint der 22-Jährige lächelnd mit einem Schuss Selbstironie.

Denn von Massenprotesten gegen die Gleichschaltung des politischen Systems sei Russland weit entfernt. Den Typ des heißspornigen Revolutionärs verkörpert der langhaarige Absolvent der Hochschule für Ökonomie nicht. Korsukow ist Pragmatiker. Institutionalisierung und Vernetzung der Proteste nennt er als wichtigstes Etappenziel. Letzte Woche gründete er mit einigen Dutzend Gleichgesinnter in Moskau die Bewegung „Ljudi v Kurse“ – ein Wortspiel, das zweierlei bedeutet: „Leute sind im Bilde“ und verfolgen einen klaren Kurs: Meinungsfreiheit und freier Zugang zu Informationen sind zentrale Forderungen des Gründungsmanifestes.

„Nein“ sagen die Studenten auch zu der seit Putin wachsenden Willkür der Staatsapparate, deren Verletzungen von Menschen- und Bürgerrechten nicht geahndet werden. „Angst macht sich wieder breit“, will Korsukow bemerkt haben. In den Regionen sei dies noch deutlicher zu spüren als in den Metropolen. Wo Angst herrsche, habe die Demokratie keine Chance. Er selbst wurde von den Sicherheitsorganen noch nicht behelligt.

Anders erging es dem Gründer der Petersburger Jugendbewegung „Ohne Putin gehen“, Michail Obosow. Die Gruppe von einigen Dutzend Aktivisten ist eine Persiflage auf die Jugendorganisation der Kremlpartei Vereinigtes Russland, „Die zusammen gehen“. Obosows Kritik am System unterscheidet sich im Wesen nicht von der der Moskauer Kommilitonen. Sie kommt literarischer daher, wenn der angehende Ingenieur Vergleiche zwischen dem heutigen Russland und George Orwells Roman „1984“ zieht. Parallelen wie Persönlichkeitsunterdrückung, Gehirnwäsche und Dominanz des Staates gegenüber dem Individuum seien nicht zu verkennen.

Die Petersburger Aktivisten wissen, wovon sie sprechen. Als sie auf einer vom Kreml gesteuerten Demonstration ein Transparent mit der Aufschrift „Ja zur Willkür des Kreml“ entfalteten, wurden sie von Beamten in Zivil festgenommen. Zehn Studenten bekamen eine Strafe von 500 Rubel. Obosow wurde vom Dekan der Universität und einem Vertreter der Behörden „zum Gespräch“ geladen und aufgefordert, Putin nicht mehr zu kritisieren und den Tschetschenienkrieg nicht zu erwähnen. Sonst könnte dies zu „Unannehmlichkeiten“ an der Hochschule führen, teilte man den Eltern mit.