Im Rausch der Wahrheit

Man müsste sich eine chemische Keule besorgen, eins von diesen praktischen kleinen Sprays, und jeden, der einem dumm kommt, sofort niedersprühen. Man müsste eine Waffe nehmen, irgendeine große Faustfeuerwaffe, eine Magnum vielleicht, und rausgehen in die menschenleere Nacht und sie abfeuern, dreimal hintereinander. Man müsste sich ein Auto mieten, unter falschem Namen selbstverständlich oder mit einer abgelaufenen Kreditkarte, ein schnelles Auto, ein Cabrio, und einfach losfahren, voll auf Droge, in die Wüste, ihm zu Ehren.

Hunter S. Thompson ist tot. Am Sonntagnachmittag, so teilte es sein Sohn Juan mit, habe sich der Journalist und Schriftsteller selbst in den Kopf geschossen. Es ist dies ein konsequentes, ein würdiges Ende eines konsequenten, würdigen Mannes. Nicht dass man diesen Hunter Stockton Thompson, diesen renitenten Waffennarr, Alkohol- und Drogenkonsumenten, gerne zum Nachbarn gehabt hätte. Zum Freund. Oder auch nur zum Kollegen. Es wäre wohl die Hölle gewesen, angewiesen zu sein auf einen, der den simplen Auftrag für die Erstellung einer Reportage als Einladung zu einem redaktionell finanzierten Komplettabsturz begriff.

Aber es war und ist ein Vergnügen und ein Genuss, seine Texte zu lesen. Thompson kämpfte gegen das Establishment, gegen die große Lüge des amerikanischen Traums. Nicht nur indem er gegen Nixon, Reagan und die Bushs schrieb – er kämpfte auch immer gegen sich selbst und gegen seinen Berufsstand. Als Erster rückte er die eigene Person in den Mittelpunkt seiner Geschichten: einen offensichtlich Irren auf der Suche nach der Wahrheit. Auf diese radikal subjektive Weise, durch ständiges Sich-in-Beziehung-Setzen zu den Subjekten seiner scharfen Beobachtung und ohne sich jemals über dieselben zu stellen, zog er den Zorn der seriösen Vertreter seiner Zunft auf sich – und bereicherte die Publizistik um ein neues Genre: den Gonzo-Journalismus.

Den Gonzo-Journalismus erfand Thompson, als er, komplett zerstört von seiner teilnehmenden Beobachtung, für das Scanlan’s magazine eine Geschichte über das „Kentucky Derby“ abliefern sollte, vordergründig Pferderennen, eigentlich kollektiver Rausch. Thompson war nicht in der Lage, den Text fertig zu stellen. Also riss er einfach Seiten aus seinem Notizbuch und schickte diese an die Redaktion. Er glaubte nicht daran, danach jemals wieder einen Auftrag zu bekommen, erzählte er Jahre später dem Playboy. Tatsächlich wurde er gefeiert.

Es gibt viele irrsinnige Geschichten über Thompson zu erzählen, 67Jahre alt geworden, geboren in Louisville, Kentucky, am 18. Juli 1937, gestorben am 20. Februar 2005 in Woody Creek, Colorado. Die besten hat er selbst aufgeschrieben.

Als Ihr Anwalt rate ich Ihnen: Lesen Sie Hunter S. Thompsons Buch über die „Hell’s Angels“. Und seine Geschichte „The Kentucky Derby is Decadent and Depraved“. Danach, das ist sicher, wollen Sie mehr.

STEFAN KUZMANY