Gegen die Demokratie

Der Gesetzentwurf ist falsch, weil der Staat Diskussionen nicht eingrenzen oder lenken darf. Vorbild könnten hier die USA sein

contra

Wer die Grundrechte von Neonazis einschränken will, soweit es das Grundgesetz gerade noch zulässt – und diese Haltung ist zurzeit weit verbreitet –, steht nur noch halbherzig zu den Grundwerten der Verfassung, so als sei sie ein von außen auferlegtes Übel. Mit solchen Halbdemokraten ist die Demokratie schlecht zu verteidigen. Sollen Lehrer ihren Schülern im Geschichtsunterricht zuerst erläutern, mit welchen Äußerungen sie sich strafbar machen könnten?

Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind zentrale Grundwerte der freiheitlichen Demokratie. Der Staat darf den gesellschaftlichen Diskurs nicht in bestimmte Richtungen lenken. Auch Minderheiten sollen diese Rechte haben, selbst wenn sie verhasst sind. Wer sich an die Spielregeln hält, soll sich frei äußern und versammeln können. Und natürlich müssen die Spielregeln so aussehen, dass der freie gesellschaftliche Diskurs nur im unbedingt notwendigen Maße eingeschränkt wird.

Wer die Demokratie mit demokratiewidrigen Methoden verteidigt, drängt vielleicht die Feinde der Demokratie zurück, wird ihnen aber immer ähnlicher. „Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Sie sagen, aber ich werde dafür kämpfen, dass Sie es sagen können.“ Es ist dieser leidenschaftliche Ethos Voltaires, der heute kaum noch zu spüren ist, und weshalb rechte Jugendliche durchaus nachvollziehbar die herrschende Doppelmoral verachten. Mit Verboten und Polizei kann man vielleicht angepasstes Verhalten erzwingen, aber nicht die Idee der Demokratie verankern.

„Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, heißt es oft zur Rechtfertigung von Grundrechtseinschränkungen. Doch wer die NPD von heute umstandslos mit dem NS-Faschismus gleichsetzt, verharmlost den Faschismus in seiner grausamen historischen Realität selbst. Die Sprüche der NPD sind dumm und geschichtsvergessen. Doch Deutschland kann und muss sie ohne weiteres aushalten.

Wie das geht, zeigen die USA. Dort ist die Meinungsfreiheit nicht nur in Sonntagsreden höchster Verfassungswert. Und man kann den USA zwar manches dunkle Kapitel in ihrer Geschichte vorhalten, der Faschismus ist allerdings nicht dort entstanden, wo die Meinungsfreiheit hoch gehalten wird, sondern im verbotsfreundlichen Deutschland.

Auch viele jüdische Organisationen tragen das Konzept der radikalen Meinungsfreiheit in den USA mit. Mitgefühl für die Opfer des rechten Terrors zwingt also nicht zu einer antifreiheitlichen Politik. Im Gegenteil. Ein Klima gesellschaftlicher Toleranz nützt letztlich gerade auch Minderheiten. Der gesellschaftliche Diskurs darf nicht auf die Frage reduziert werden, wer die Macht hat, der anderen Seite die Meinungsäußerung zu verbieten. CHRISTIAN RATH