Wenn der Pascha dich ruft …

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch untersucht die ägyptischen Ermittlungen nach dem Taba-Anschlag. Massenfestnahmen unter den Beduinen

KAIRO taz ■ Was passiert eigentlich nach einem großen Anschlag, wenn die Leichen abtransportiert, die Fernsehberichte abgesetzt und die Trümmer weggeräumt sind? Nicht in New York oder Madrid, sondern an einem Ort, an dem es weder demokratische Institutionen noch eine gut ausgebildete Polizei gibt, die Hintergründe des Attentates mit modernen Untersuchungsmethoden aufzuklären sucht.

Die Bilder von der zusammengestürzten Hotelfassade des ägyptischen Taba-Hilton Hotels im Sinai gingen am 7. Oktober vergangenen Jahres um die Welt. Mehr als 30 Menschen, meist Israelis, kamen bei dem Bombenanschlag ums Leben, mehr als hundert wurden verletzt. Als Urheber wurde schnell al-Qaida ausgemacht, der „wahrscheinlichste Kandidat für den Anschlag“. Dann wurde es wieder ruhig um Taba. Die Medien wandten sich dem nächsten großen internationalen Thema zu: den Wahlen in Afghanistan.

Die Stimmen in Kabul waren noch nicht ausgezählt, da begannen die ägyptische Polizei und der Inlandsgeheimdienst den Fall Taba auf ihre Art aufzuklären. Am 13. Oktober setzte eine Verhaftungswelle unter den Beduinen im Nordsinai ein. „Der Pascha möchte dich sprechen“, lautete der Standardsatz, bevor die Leute rund um El-Arisch im Nordsinai zum Teil bis heute verschwanden. Pascha ist die kurze Bezeichnung für den lokalen ägyptischen Sicherheitschef. Über 2.400 Menschen wurden nach Angaben eines Berichtes der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) festgenommen, ohne Haftbefehl und ohne dass den Verwandten gesagt wurde, wohin ihre Angehörigen gebracht werden. War der Gesuchte nicht zu Hause, wurde manchmal ein Verwandter als eine Art Geisel mitgenommen.

Am 25. Oktober präsentierte das Innenministerium ein Untersuchungsergebnis. Fünf Täter seien verhaftet worden, zwei seien bei dem Anschlag ums Leben gekommen, zwei weitere seien flüchtig. Der Anschlag sei mit altem Kriegsmaterial und mit Hilfe einer Waschmaschinen-Zeituhr verübt worden. Ein Selbstmordanschlag sei nicht geplant gewesen, der Sprengsatz sei zu früh explodiert. Damit war die Akte Taba offiziell geschlossen.

Außer dass eine DNA-Analyse vorgenommen wurde, gab es keine Angaben, wie die Täter identifiziert wurden. Ein Regierungssprecher betonte hinterher, es gebe keine Verbindungen zu al-Qaida und es handele sich um eine individuelle Tat, motiviert durch „Verzweiflung, Aggression und Ungerechtigkeit gegenüber den Palästinensern“. Eine Einzeltat ohne Verbindungen zu einer militanten Organisation also: ein für die ägyptischen Behörden fast zu perfektes Ergebnis.

Interessant ist dabei, dass die Verhaftungswelle unter den Beduinen des Nordsinai trotzdem noch mehrere Monate weiterging. „Das deutet darauf hin, dass das veröffentlichte Ergebnis nicht die wahre Untersuchung reflektiert, oder dass die Regierung die Chance wahrgenommen hat, gegen potenzielle politische Gegner und besonders Islamisten vorzugehen“, schlussfolgert der HRW-Bericht vorsichtig.

Unklar ist, wie viele der Festgenommenen sich noch in Haft befinden und wie viele inzwischen freigelassen wurden. HRW konnte mit einigen der Freigelassenen sprechen und erhebt in dem Bericht mit dem Titel „Massenverhaftungen und Folter im Sinai“ schwere Vorwürfe der Misshandlung von Gefangenen, die zum Teil an Türen aufgehängt, geschlagen und mit Elektroschocks behandelt worden sein sollen. KARIM EL-GAWHARY