Es droht Tuberkulose

Weil es kaum Kranke gab, wurde zu wenig Geld in die Entwicklung von Tuberkulose-Impfstoffen gesteckt

BERLIN taz ■ Wer sich oder seine Kinder gegen Tuberkulose impfen will, hat ein Problem: Es gibt bereits seit 1998 keinen von der Bundesregierung empfohlenen Impfstoff mehr. Seitdem rät die Ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut nicht mehr zum bis dahin verwendeten BCG-Impfstoff. Warum, erklärt Walter Haas von diesem Institut: „Er bietet keinen Schutz gegen die Erwachsenenform der Lungentuberkulose. Hinzu kommt, dass häufig Nebenwirkungen auftraten. Die standen in einem ungünstigen Verhältnis zu der kleinen Zahl von Tuberkulosefällen bei Kindern, die man hätte verhindern können.“

Haas verweist auf eine medikamentöse Therapie, die Kontaktpersonen von Kranken stattdessen erhalten. Würde die Kommission die Impfung weiter empfehlen, die in vielen Staaten der Welt verwendet wird, müssten die Bundesländer für Impfschäden haften.

In Deutschland gab es 7.240 neue Tuberkulosefälle im Jahr 2003, Tendenz leicht sinkend. Das ist eine Erkrankungshäufigkeit, bei der die Weltgesundheitsorganisation den BCG-Impfstoff eigentlich empfielt. Und: Die Tendenz kann kippen, wie internationale Vergleiche zeigen. Weltweit werden 8,7 Millionen neue Fälle pro Jahr registriert. Innerhalb Europas steigen nach Erkenntnissen des Paul-Ehrlich-Instituts Tuberkulosefälle in Großbritannien, mehreren GUS-Staaten und den neuen baltischen EU-Mitgliedsstaaten stark an. Tückisch ist, dass die Zahl resistenter Erreger zunimmt. In den GUS-Staaten kann bereits mehr als jeder fünfte Erreger nicht mehr therapiert werden, so Michael Schwanig vom Paul-Ehrlich-Institut.

Im Inland erkranken vor allem Alkoholkranke und Obdachlose an der Krankheit, sagt Annette Schulze vom Tuberkulosezentrum Berlin-Mitte. Aber auch Spätaussiedler, Diabetiker und HIV-Infizierte sind betroffen.

Wer auf einen neuen Impfstoff wartet, muss sich gedulden. Am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie ist Stefan Kaufmann zwar ein Durchbruch gelungen: Sein Team entwickelte einen Impfstoff, der in Tierversuchen einen deutlich besseren Impfschutz vor Tuberkulose bietet als der nicht mehr empfohlene BCG-Impfstoff.

Jetzt müssen die mit öffentlichen Mitteln finanzierten Forschungen in die klinische Phase überführt werden. Der Anfang ist gemacht. Vor zwei Jahren gründete die Bundesregierung dazu die Vakzine-Projekt-Management-GmbH.

„Ich bin froh, dass das endlich in die Gänge gekommen ist. Das ist ein Verdienst der gegenwärtigen Bundesregierung“, sagt Michael Schwanigk vom Paul-Ehrlich-Institut dazu. Die USA hätten erst mehr Geld in die Tuberkuloseforschung gesteckt, als in den 90ern die Zahlen stiegen.

Der Forscher Stefan Kaufmann beurteilt das Regierungsengagement kritischer: „Industrienationen, in denen die Tuberkulose weitgehend besiegt ist, tun zu wenig.“ Es dürfe nicht nur darum gehen, sich gegen den Anstieg der Fallzahlen im eigenen Land zu wappnen. „Uns sollte es nicht egal sein, wie es den Menschen in Afrika geht.“

MARINA MAI