Dem Krötigen treu geblieben

Wer seinen Entführer nicht offen liebt, muss zur Strafe die Unterhosen der Ritter waschen: Karen Duve erzählt mit „Die entführte Prinzessin“ein tadelloses Märchen. So klassisch es jedoch mitunter ist, das größte Vergnügen macht es, wenn Duve von den vertrauten Motiven abweicht

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es gibt Schlimmeres, als seine Ehre zu verlieren. Zum Beispiel, sich ein Leben lang im hintersten Winkel des Herzens wie ein Arschloch zu fühlen, weil man die Anerkennung des Clans über die Freundschaft und die Ehrlichkeit gesetzt hat. Weil man zu stolz war, einen Fehler einzugestehen. Das zu lernen ist für den Ritter Bredur aus dem trostlosen Nordreich Snögglinguralthorma eine der schwersten Prüfungen, die ihm die Autorin Karen Duve in ihrem Märchen „Die entführte Prinzessin“ auferlegt hat. Viel schwerer zum Beispiel, als Drachen zu bekämpfen oder als Sultanstochter verkleidet in einem Harem zu leben und dann den Zärtlichkeiten vieler Sklavinnen und der Süße des Opiums freiwillig zu entsagen. Was auch zu Bredurs Programm der Selbstfindung gehört. Weshalb das Märchen von Karen Duve auch fast 400 Seiten hat und zum Märchenroman geworden ist.

Bredurs Fehler war eigentlich nicht groß, gerade mal so groß wie sein Schienbein lang, das er seinem Rivalen in der Bewerbung um Prinzessin Lisvana, dem Prinzen Diego, gestellt hat. Aber weil der Ritter das nicht zugeben konnte, wurde eine Lüge draus und aus der Lüge fast der Grund für einen Krieg zwischen den Nordlandrittern und dem Reich der Baskaren. So entstehen politische Konflikte oft aus dummen Anlässen. Und auch aus Langeweile und aus Eifersucht, weil es außer der Liebe nicht viel gibt, mit dem man die Langeweile in einem Hofstaat, sei es im eisigen Norden oder im blühenden Süden, vertreiben kann.

Den Roman von Karen Duve ziert ein schöner Umschlag mit roten Feuerwolken und goldener Schrift und einem in das Papier geprägten Drachen, der sehr prächtig aussieht: gefährlich Feuer speiend und mit weit aufgespannten Flügeln fliegt er eine waghalsige Wende. Damit ist er so ziemlich das genaue Gegenteil von dem Drachen Grendel, der eine wichtige Rolle in den Entführungen der Prinzessin Lisvana spielt. Er ist ein Drache, den sich ein Zauberer mit viel Mühe und nicht ganz legalen Mitteln aus einer Kröte zu einem Kampfdrachen heranziehen will. Mit Grendels Herkunft bleibt Karen Duve gewissermaßen dem Krötigen und Froschigen treu, das schon in ihrem „Regenroman“ sehr bildhaft in den Lücken blubberte und glitschte, die dort die Identitätskrise eines Schriftstellers mit sich brachte. Anfangs kann Grendel, den feuchten Elementen zu verwandt, nicht mal Feuer spucken, geschweige denn fliegen. „Der will ja nur spielen“, brüllt sein Zauberer zur Entwarnung den über Grendels Hässlichkeit Erschreckenden entgegen und wacht ein wenig hysterisch über der Ernährung seines Zuchtversuches. Man erkennt in den beiden nicht nur Herr und Hund, sondern auch Mutter und Kind, kleine Karikaturen am Rande. Grendels Erziehung ist gewissermaßen ein Teil des Entwicklungsromans, der in diesem Märchen steckt.

Karen Duve hat ein tadelloses Märchen hingelegt, aber das größte Vergnügen machen doch ihre Abweichungen von den vertrauten Motiven: wenn sich lebenspraktische Erfahrung in den Verlauf des Märchenhaften ein- und seine Logik aufmischen. Wie der Trotz der entführten Prinzessin Lisvana, die ihren Entführer zwar liebt, dies aber aus Zorn über die Entführung nie zugeben kann. Dafür soll sie bestraft werden, mit der niedrigsten Arbeit, dem Waschen der Unterhosen der Ritter. Und sie spielt, zur eigenen Überraschung, die Rolle der Wäscherin mit Begeisterung. Womit Karen Duve ganz nebenbei einfließen lässt, dass ein befriedigender Job kein schlechtes Mittel gegen Liebeskummer und romantische Nöte ist.

Vor zwei Jahren erzählte die Autorin in einem taz-Interview, dass sie während der langen Arbeit an ihrem Roman „Dies ist kein Liebeslied“ oft, wenn das Buch bloß immer dicker und das Wegstreichen immer quälender wurde, zur Erholung an einem Märchen schrieb. Auch um ihr Versprechen einzulösen, dass wenigstens ein Buch einmal gut ausgehen wird. Die „Entführte Prinzessin“ löst das Versprechen zwar ein, aber um den Preis, eben als Märchen und wie eine Entspannungsübung neben dem Kerngeschäft Literatur gelesen zu werden.

So macht man sich als Leser nie ganz davon frei, ihr sozusagen mit einem inneren Lächeln auf einen Spielplatz zu folgen, dessen Regeln die Komplexität des Lebens außen unterlaufen dürfen. Die Logik muss hier nichts, die Fantasie darf alles. Karen Duve nutzt das ökonomisch, sie verfängt sich nicht in den Genealogien und Böse-Gut-Zeichnungen von Fantasywelten. Jedes Abenteuer hat letztendlich seinen Sinn in den Geschichten des Erwachsenwerdens von ihren drei jugendlichen Helden.

Nur manchmal wird die Autorin obsessiv. Dann packt sie die Leidenschaft, ein Detail farbenprächtig auszumalen, wie die vielen seltsamen und symbolischen Gärten, für die Diegos Mutter berühmt ist. Dann mischt sich die Lust am kulturhistorischen Wissen, ein enzyklopädischer Furor in den Fluss der Erzählung und staut ihn auf für ein, zwei Kapitel. Dann fällt einem wieder ein, dass Karen Duve auch schon an einem Lexikon berühmter Pflanzen und berühmter Tiere mitgeschrieben hat.

Von dieser Besessenheit, sich kopfüber in das Erfinden zu stürzen und abzuirren, wünscht man ihr manchmal mehr. Und auch, dass sie mit ihren Figuren mal so boshaft umspringt wie mit ihren Romanfiguren. Sie bleibt sehr nett zu ihrem Märchenpersonal – und da vermisst man dann doch den Biss und die Zumutungen ihrer anderen Bücher.

Karen Duve, „Die entführte Prinzessin“, Eichborn Berlin, Berlin 2005. 398 Seiten, 24,90 €