Reformideen braucht das Land

Nach den Schreckensmeldungen vom Arbeitsmarkt fordern Experten nun weitere Reformen. So könne die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Prozent sinken. Uneins aber sind die Volkswirte, welche Mittel den Aufschwung bringen würden

BERLIN taz ■ An einer untätigen Regierung liege es nicht, dass derzeit so viele Menschen in Deutschland arbeitslos sind, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger: Selten in der Geschichte der Bundesrepublik sei so viel herumreformiert worden wie unter Rot-Grün in den letzten vier Jahren. Es fehle aber ein Gesamtkonzept, sagte er auf einer Veranstaltung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) am Dienstag in Berlin.

In jedem Fall müssten weitere Reformen her, fordern das arbeitgebernahe IW und die von den Metall-Arbeitgebern ins Leben gerufene Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in einer neuen Studie. Darin benennen die Autoren sechs Wachstumsblocker: geringe Investitionen durch Unternehmen und Staat, Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildung, hohe Abgabenquote und Staatsverschuldung. Reformen in diesen Bereichen könnten binnen zwanzig Jahren die Arbeitslosenquote auf 3,5 Prozent drücken. „Reformen rechnen sich“, sagte IW-Direktor Michael Hüther. Auf jeden Privathaushalt entfalle im Schnitt eine Reformdividende von bis zu 15.000 Euro.

Wie sehen aber die notwendigen Reformen aus? Mit konkreten Antworten hält sich die Studie zurück. Sie verweist lediglich auf die Vorzüge der Angebotspolitik: Deregulierung, Senkung von Steuern und Staatsquote, Kürzungen bei den Sozialausgaben und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Mit ihrem Szenario „Deutsche Angebotspolitik“ nach dem Muster der 80er-Jahre kommen IW und INSM auf jährliche Wachstumsraten von zwei bis drei Prozent. Dass in den 80ern die Kosten der Wiedervereinigung fehlten, ignorieren die Autoren großzügig.

Noch etwas besser, so die Studie, würde man mit Reformen wie in den Musterländern USA, Großbritannien und Schweden fahren – auch wenn die USA mitnichten eine angebotsorientierte, sondern eine fast schon lehrbuchmäßig keynesianistische Politik mit hohen Staatsausgaben und großzügiger Zinspolitik verfolgen. Und auch wenn die Staatsquote in Schweden sogar höher als in Deutschland ist. „Es gibt offenbar unterschiedliche Reformpfade“, stellen die Autoren der Studie etwas verunsichert fest.

Woran liegt es nun, dass Deutschland bei den Wachstums- und Arbeitslosenraten den genannten Ländern so weit hinterherhinkt? Jedenfalls nicht an mangelnder Angebotsorientierung, sagen die Nachfragetheoretiker. „Selbst unter besten Angebotsbedingungen wird es keine Investitionen geben, wenn die Nachfrage fehlt“, doziert der Bremer Volkswirt Rudolf Hickel. Und Bofinger ergänzt: „Es ist tödlich, wenn sich Unternehmen, statt sich auf die Stärken des Standorts zu konzentrieren, erzählen, dass die Arbeit im Ausland zu einem Zehntel der deutschen Lohnkosten zu haben ist. Das muss die Arbeitnehmer verunsichern.“ Und weil zugleich die sozialen Sicherungssysteme abgebaut werden, schränkten sie ihren Verbrauch ein. Die Nachfrage fehle nun allen für den Binnenmarkt tätigen Unternehmen, die folglich ihre Investitionen immer weiter zurückführten.

Um aus dem Teufelskreis herauszufinden, fordert auch Bofinger eine Rückkehr zu früheren Politikmodellen, nämlich einer Lohnpolitik, die sich an den tatsächlich erreichten Produktivitätszuwächsen plus Inflationsausgleich orientiert: „Das war über Jahrzehnte das deutsche Erfolgsrezept.“ Und statt Senkung der Staatsverschuldung, wie sie das IW fordert, plädiert der Würzburger Ökonom dafür, dass Deutschland bei den Bildungs- und Infrastrukturinvestitionen wieder Anschluss an das europäische Ausland finden müsse.

Am Ende verständigten sich die Volkswirte dann doch über die ersten nötigen Reformschritte: Die Sozialabgaben und damit die Lohnnebenkosten müssten sinken, gegenfinanziert durch höhere Mehrwertsteuern. Eine klare Absage erteilten sie dagegen einer von Regierungs- wie Oppositionskreisen als Allheilmittel propagierten weiteren Steuersenkung. NICOLA LIEBERT