Der Sex-Appeal der Sekretärinnen

Ally McBeal und ihre Schwestern: Die Tagung „Working Girls“ an der Universität München ging der „Ökonomie von Liebe und Arbeit in der Moderne“ nach. Und zeigte, wie fruchtbar das Zusammentreffen von Soziologie und Cultural Studies sein kann

VON ANNETT BUSCH

„Zu einer Konferenz gehören auch die Einladung und die E-Mail-Korrespondenz im Vorfeld.“ Der Satz fällt beiläufig in der Mittagspause. Rembert Hüser, einer der Referenten, bezieht sich damit auf Ulrich Nettelbeck, der in seiner Zeitschrift Die Republik bei Tagungsberichten das Drumherum gern ebenso ernst nahm wie die jeweiligen Vorträge und Diskussionen.

Im Fall der Tagung „Working Girls – Zur Ökonomie von Liebe und Arbeit in der Moderne“, die eben in München zu Ende ging, gehört dazu die wohlwollende Skepsis, mit der die Soziologen Stefan Hirschauer und Helmut Lethen auf die Einladung der Veranstalterinnen, Heide Volkening und Sabine Biebl, reagierten. „Was soll das sein, ein Working Girl?“ Und: „Was kann ICH dazu sagen?“ Im Gegensatz zu den Working Boys reagierten die Teilnehmerinnen auf die Anfrage gern mit der gleichlautenden spontanen Antwort: „Working Girl? Kenn ich, ich bin auch eins.“

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet der Begriff des „Working Girl“ die Arbeitermädchen. In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde er zum Synonym für all jene jungen Frauen, die sich voller Hoffnung in die Großstadt aufmachten, um in den neuen Kommunikationsberufen oder der Unterhaltungsindustrie einen Job zu ergattern; Stenotypistin oder Showgirl, Ladenmädchen oder Sekretärin.

Wie man sich denken mag, wurde der Begriff nicht erfunden, um arbeitende junge Frauen von nicht arbeitenden jungen Männern zu unterscheiden, sondern um subtile Grenzen zu ziehen zwischen dem Außergewöhnlichen und dem vermeintlich Selbstverständlichen, zwischen Arbeit und Geschlecht. Und von vornherein war das Working Girl von einer so schillernden wie perfiden Ambivalenz gekennzeichnet, die sich zwischen Sex und den Versprechungen von Mobilität und Karriere erstreckt, zwischen strategischer Aneignung und Fiktion.

Ende der Sechzigerjahre verschiebt sich die Ambivalenz hin zur Eindeutigkeit, das „Working Girl“ meint explizit die Sexarbeiterin. Die Hurenbewegung eignet sich zu jener Zeit den Begriff an, um ihre Arbeit auch als solche zu bezeichnen und die Doppelmoral Lügen zu strafen. „Ein Working Girl zu sein bedeutet, Ökonomie sowohl in sexueller als auch in geschäftlicher Hinsicht zu begreifen“, referiert Verena Mund, und Heide Volkening eröffnet die Tagung mit der Frage: „Kann die Ambivalenz des Begriffs ‚Working Girl‘ genutzt werden, um eine kulturwissenschaftliche Kategorie abzugeben, deren Produktivität gerade in ihrer Unschärfe besteht?“

Der Vorspann zur Konferenz lief vor bald drei Jahren, im Herbst 2002, auf dem internationale Frauenfilmfestival Feminale: „Working Single Girls. Ledig und berufstätig vor Ally McBeal.“ Damals stand das emanzipative Potenzial der selbstbewussten und frechen Vorstreiterinnen im Blickfeld, nun zieht das „Working Girl“ tatsächlich ins akademische Leben ein und befindet sich in einem völlig neuen Spannungsfeld.

Von Ally McBeal ist erst mal keine Rede mehr. „Postnormative Genderforschung“ zu betreiben sei sein Anliegen, sagt Stefan Hirschauer, und spitzt mit seiner rhetorisch so flinken Performance all jene Paradoxien, Fallen und Widersprüche zu, die die beiden Geschlechter während und durch die Arbeit geneigt sind, sich gegenseitig anzutun. Den weiblichen wie männlichen Zuhörern bleibt dabei nur mehr die Flucht in die Heiterkeit, eine Haltung, die die Tagung durchaus prägt. Denn ohne Ironie sei die „Tragik der Geschlechter ohnehin nicht zu ertragen“, weiß wiederum Helmut Lethen.

Die schwerelose Geschwindigkeit der theoretischen Analyse wird jedoch spätestens mit einem Filmausschnitt aus „Our Blushing Brides“ von Harry Beaumont (1930) unterbrochen. Die schnatternd frechen weiblichen Angestellten mit ihrer überbordenden Anzahl von Puderdosen scheinen sich ihren Raum nicht nehmen lassen zu wollen. Man muss das nun nicht als Widerspruch begreifen, erstaunlich ist vielmehr, dass die interdisziplinäre Kommunikation gelingt. Droht das beschreibende Verfahren und die Materialfülle der Cultural Studies allzu selbstverliebt zu werden, kontern die Vertreter der Soziologie gern mit produktiver Skepsis. Und wenn nach einer ausführlichen Abhandlung von „Bridget Jones’s Diary“ und Mike Nichols „Working Girl“ der Referent in der Diskussion unvermittelt dazwischen wirft: „Selbstverständlich handelt es sich hier um erzkonservative Frauenbilder“, ist es wiederum Helmut Lethen, der höflich nachfragt, was das denn tatsächlich bedeuten solle, „erzkonservativ“? Man hätte die gerade gesehenen Frauenfiguren doch eben erst liebgewonnen, „anscheinend soll uns das verdorben werden?“

Zwei Tage und zwölf Vorträge später hat sich in der Tat ein anregendes Spektrum aufgefächert: von Girls an der Theke bis hin zu Girls auf Samoa, von erotischen Fantasien der „Working Girls not Working“ im Italienurlaub bis hin zu den Männerfantasien des „Working Girl als Schreibkraft“, von Siegfried Kracauer bis Irmgard Keun. Die Tippmamsells hätten sich das wohl nicht träumen lassen, eines Tages zum Forschungsgegenstand angehender Professorinnen zu werden, die sich prompt und spontan ebenfalls als „Working Girls“ bezeichnen. Ob sich diese Aneignung des Begriffs nun auf die prekäre Formel: „Zu viel Arbeit, keine Zeit, kein Geld“ bezieht, auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder die scheinbar zeitlos attraktive Projektionsfläche „Girl“ – das freilich bleibt schwer zu sagen.

Zum Weiterlesen: www.angestellten.de/workinggirls