Das Abbild des Bierdeckels

Von der Straße ins Museum: Der Exkameramann Florian Süssmayr gilt als die Neuentdeckung der Münchner Kunstszene. Nun würdigt ihn das Haus der Kunst mit einer ersten Retrospektive

VON IRA MAZZONI

Das echte Leben, die wahre Wirklichkeit, war immer wieder das erklärte Ziel der Avantgarden. Doch im Kunstraum wird alles Kunst und auf der Leinwand gibt es nur Zeichen, die gerade vergangenes Leben meinen. Florian Süssmayr, Jahrgang 1963, gehört zu den melancholischen Kartografen des alltäglichen Seins. Das Dokumentarische ist seine Basis, das Malerische sein Mittel, Tristesse sein Ausdruck. Mit Porträts habe er 1997 angefangen, erzählt Süssmayr – von Fußballfreunden, Punk-Idolen und immer wieder: Ludwig Wittgenstein. Im Prinzip malt Süssmayr immer noch Porträts, und zwar reihenweise: „Ein Bild reicht nicht aus, um alles zu sagen.“

Das Filmische wirkt nach. Süssmayr hat zehn Jahre als Kameramann und Lichttechniker bei Experimental- und Dokumentarfilmen wie dem „Himmler Projekt“ von Romuald Karmakar und den „Warshots“ von Heiner Stadler mitgewirkt. Jetzt malt er nach Schnappschussvorlagen Kneipen, Stehimbisse und Stammtischstillleben, kopiert akribisch Bestellblöcke und Schiefertafeln, die in der Summe einen Plot ergeben, und transkribiert obszöne Pissoir-Anmache: Frust-Protokolle alltäglichen Punks in Öl auf Leinwand oder Pressspan vergrößert.

Der Künstler steht unsichtbar für die Presse hinter einem Monumentalpfeiler der „Ehrenhalle“ des Hauses der Kunst, während Chris Dercon eloquent alle Register kunstkritischer Zuordnungen und Abgrenzungen zieht. Die Fotografie sei die Garantie für das Überleben der Malerei, so seine These. Aber Süssmayr sei eben kein Richter, kein Tuymans, kein Rauch. Dabei wirkt der Künstler verlegen: Das ist nun ganz und gar nicht seine Welt, die Kunstwelt der big names. Er ist defensiver Mittelfeldspieler im Münchner Freizeitclub FC/DC, war auf keiner Akademie, hat bei seinem Großvater, dem Künstler Josef Süssmayr, den Umgang mit Farbe und Pinsel gelernt, war Punkmusiker, Kameramann, experimenteller Fotograf und malt jetzt beeindruckende Bilder, die den Nerv einer Generation treffen, die eine bis ins Detail gestylte Welt einfach satt hat.

Süssmayr gehört in keine Schublade – noch nicht. Dercon holt derweil zwischen Comic und Courbet aus, nennt Hopper und Brassaï und behauptet, dass immer das gerade Vergangene ein Problem sei. Vor allem für die vergleichende Kunstkritik. Ach ja, und diese Ausstellung sei keine Ausstellung, sondern eine Installation. Denn die Ehrenhalle wurde nicht als Kunst-, sondern als Propagandaraum gebaut.

Dann soll der Künstler hervortreten und zu den Vertretern der Presse sprechen. Dem Künstler versagen erst mal die Worte. Damit hatte er nicht gerechnet. Und dann kommt doch sein Widerspruch: Seine Bilder seien kein Kommentar zu dieser Architektur. Er hat die „Bilder für deutsche Museen“ zu einer Zeit gemalt, in der er von einer Ausstellung in diesem Haus noch nicht einmal zu träumen wagte. Unter dem gleichen Titel hatte er Teile seines Oeuvres im Herbst 2004 im Bayerforum ausgestellt, wo ihn Susanne Gaensheimer vom Lenbachhaus und Chris Dercon entdeckten.

Von der Straße ins Museum, das gab es in München noch nie. Jetzt wird Süssmayr gleich zweimal gefeiert, im Kunstbau des Lenbachhauses unter Gaensheimers „Favoriten“ und mit einer Retrospektive im Haus der Kunst. Nur eine große Collage oben neben der Tonkabine des Hitler-Hallraums ist neu: „Germany, Rotterdam 1989“ zeigt in monochrom braunen Feldern Hooligans nach dem Länderspiel. Im Mittelpunkt der vier Szenenblöcke steht lasziv das weibliche Prinzip. „Zeigen, was man nicht versteht“, nannte Dercon als Grund der Präsentation. Malerei müsse heute inszeniert werden, hatte der Kunsthaus-Direktor noch angemerkt und damit zu erkennen gegeben, dass dies vor allem sein Kommentar zur Geschichte des Ortes ist. Und da geht ja auch einiges zusammen: Über der wiederentdeckten und von Dercon seitlich vom Saaleingang platzierten Stifter-Bronzetafel des Hauses der Deutschen Kunst hängt nun das vergrößerte Abbild eines Bierdeckels. „Wolfgang Stamprech malt“ zeigt die Müllerbräu-Embleme mit Ähre, Eichel und schwarzer Windmühle, dazu an drei Seiten die Striche der 2/3/5 Halben der Zecher und in den Ecken das Übliche: Hakenkreuz, SS-Rune, Penis. Diese Zeichen wiederholen sich in den Klowand-Protokollen und den Ölinkrustationen nach Frottagen der wuchernden Ritzungen des Hofbräuhaus-Tisches 5.

Ist es von Belang, dass die an Münchens Biertischen gegründete NSDAP unter anderem ihre Geburtstagsfeier 1929 im Festsaal des Hofbräuhauses abhielt? Ist Süssmayr nicht Reporter des Jetzt und des unmittelbar Vergangenen? Andererseits hat Süssmayr nicht nur Kneipenansichten und auf Farbstreifen reduzierte Fußballfelder auf die quer durch die Ehrenhalle gestellte Bretterwand genagelt, sondern auch traurig trübe Landschaften, die er den Fotodokumenten der Wehrmachtausstellungen entlehnte: Tatorte in Polen. So kommentieren seine Bilder doch den Raum und seine Geschichte. So bewusst flach die Bilder gemalt sind, es tun sich Abgründe auf zwischen dem Sichtbaren und dem Verdeckten. Die Inszenierung gibt Gelegenheit, sich erstmals mehr mit Süssmayrs Bildern als mit seiner Biografie zu beschäftigen.

Florian Süssmayr: „Bilder für deutsche Museen“. Ausstellung im Münchner Haus der Kunst. Bis 1. Mai