Die Poesie ist rund

Die Ausstellung „Weltsprache Fußball“ im Braunschweiger Museum für Photographie präsentiert Bilder, die zeigen: Fotografierter Fußball muss nicht nur Sport bedeuten. Auch Politik und Poesie lassen sich über den Fußball ins Bild setzen

von Tim Meyer

Fußball ist mehr als ein Spiel. Wahrscheinlich gibt es nichts Universelleres. Spätestens 2006 werden die Massen in Deutschland wieder vor den Videoleinwänden stehen und sich nach Toren in die Arme fallen. Und im besten Fall ist es egal, wem man da in die Arme fällt: Nach dem WM-Finale 2002 feierten nicht selten deutsche und brasilianische Fans zusammen, obwohl es nur einen Sieger gab.

Auf grenzüberschreitende Begeisterung trifft man immer wieder in der Ausstellung „Weltsprache Fußball“, die derzeit im Museum für Photographie in Braunschweig zu sehen ist. Konzipiert wurde die Schau vom Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit Magnum Photos, jener Agentur, die 1947 von Henri Cartier-Bresson, Robert Capa und David Seymour gegründet wurde. In den Magnum-Archiven haben die Ausstellungsmacher etwa 4.000 Bilder gefunden, bei denen Fußball eine Rolle spielt. Das Reizvolle an den Magnum-Bildern: Der Blick auf den Fußball ist ein besonderer. Denn es gibt wenige Fotos, die zu einer Überschrift wie „Bayern München muss gegen Werder Bremen desaströse Niederlage einstecken“ passen würden.

In Braunschweig – übrigens heißt es, hier wurde vor 130 Jahren in Deutschland zum ersten Mal Fußball gespielt – werden die 50 Bilder in lockerer thematischer Gliederung präsentiert: Es gibt beispielsweise einen Raum mit Fans, einen mit Toren und einen mit einer Art Ländervergleich.

Der Fotograf Thomas Dworzak, gebürtiger Münchner mit Wohnsitz New York, zeigt auf seinem Bild spielende Männern aus Afghanistan. Das Foto entstand 2001, die Taliban beherrschten noch das Land und im Stadion von Kabul wurden Menschen exekutiert. Fußball durfte dort natürlich nicht gespielt werden. Auf Dworzaks Bild spielen die Menschen trotzdem: Irgendwo auf einer Wiese mit einem mächtigen Berg im Hintergrund und einer Frau im Bild, die verhüllt im Kaftan die Szene durchschreitet.

Gleich daneben ein Foto aus dem Iran, gemacht von dem Fotografen Abbas. Schaut man auf die Gesichter und Körperhaltung der iranischen Mädchen, ist da zwar ein Lächeln zu erkennen, aber keine wirkliche Entspannung. Beide Aufnahmen, obwohl durchaus ästhetisch interessant, bekommen ihre Qualität durch den Verweis auf das Außen, auf die politischen Realitäten jenseits des Spielfelds.

Im Raum der Fanansichten geht es vor allem um Gesichter und Rücken. Die Gesichter: angespannt oder enthemmt im Jubel. Die Rückenansichten dagegen zeugen von Konzentration. Wenn die Fans dann noch kambodschanische Mönche sind, die auf einer verwitterten Steintribüne sitzen, bekommt das Bild wieder einen doppelten Boden.

Aber auch Erdiges in Gestalt eines Schalke-Fans findet seinen Platz. Im Bild von Thomas Hoepker liegt ein Mann in passender Vereinsbettwäsche, sein Schnauzbart wirkt obligatorisch und an der Wand hängen Wimpel und Plakate. Ein Bild von einem Fan – bereichert allerdings durch ein Kind, das der Mann im Arm hält.

Neben der Freude am Ball werden in der Ausstellung auch kontemplative Bilder gezeigt, wie die schlichten Aufnahmen von Fußball-Toren von Lise Sarfati und Herbert List. Bei List hat das Tor die karge Poesie eines undefinierbaren Holzgestells, das ihn nur formal interessiert hat. Sarfati dagegen inszeniert das Tor im Schein des Flutlichtes als geheimnisvollen Zeugen vollbrachter Taten.

Zurück zum Spiel: Wenn Maradona in Rückenansicht die Arme in einem Halbkreis in die Luft reckt, erinnert es an ein Stoßgebet und mit viel Drang zu religiösen Interpretationen könnte man die Bildaufteilung als Kreuz interpretieren. Maradona, Fußball, Gott. Ja, es ist eine Religion, aber den Argentinier haben seine Sünden nicht ans Kreuz gebracht. Sie machten ihn nur schwer und langsam.

bis 3. April im Museum für Photographie, Braunschweig