„Die Menschen verlieren alles“

Jens Elmer vom Eine-Welt-Netz NRW über die katastrophalen Folgen der Erdölpipeline in Ecuador – und warum NRW eine Mitschuld trägt

taz: Angenommen, ich lebe in Ecuador. Was bedeutet die neue Pipeline für mein Leben?Jens Elmer: Die Pipeline verändert es massiv. Wenn sie an der Küste leben, haben sie noch Glück. Aber wenn sie an der Pipeline-Trasse wohnen, spüren sie das Unglück am eigenen Leib: Mehrere hundert Menschen wurden vertrieben, haben ihre Häuser, Tiere und ihre Heimat verloren – ohne entschädigt worden zu sein. In der Gegend um Mindo lebten viele Menschen vom Ökotourismus, jetzt bleiben die Gäste aus.

Aber nun ist das Projekt ja abgeschlossen.

Es wirkt aber weiter: Durch die neue Pipeline steigt der Druck, jetzt auch mehr Öl zu fordern. Zehn indigene Völker im Amazonas-Gebiet von Ecuador sind betroffen, bisher ist ihr Gebiet noch intakt – ein Naturparadies. Im Norden kann man schon die Folgen sehen: Es gibt dort hunderte Altlasten, Erdölseen, eine erhöhte Krebsrate, der Regenwald wird für Straßen abgeholzt und langfristig zerstört.

Umweltschutz gut und schön, aber Ecuador ist bitterarm. Kann die Pipeline den Menschen nicht ein wenig Reichtum bescheren?

Nein, sie ist auch ökonomischer Unsinn. In kurzer Zeit muss doppelt so viel Öl gefördert werden. Jetzt wird viel Geld durch Öl eingenommen, aber in fünfzehn Jahren werden die Quellen versiegen. Eine Katastrophe, denn der ecuadorianische Haushalt basiert auf den Öleinnahmen! Ecuador ist jetzt schon hoch verschuldet, die Erdölförderung zerstört aber die Einkommensquellen der nächsten Jahrhunderte.

Was können sie dann überhaupt noch für die Menschen tun? Die Pipeline ist nun einmal gebaut.

Leider läuft die Pipeline jetzt schon seit anderthalb Jahren. Aber nun klagen die Menschen von Mindo gegen das OCP-Erdölkonsortium, weil die Pipeline über das urkundlich dokumentierte Grundstück gebaut wurde. Den Bewohnern wurde jahrelang von Militär- und Schutztruppen der Zugang zum eigenen Grundstück verweigert. Wir wollen diese Leute bei ihrer Klage unterstützen.

Wenn die Klage erfolgreich ist: Was gewinnen die Menschen dadurch?

Sie haben ein Recht auf Schadensersatz. Und das Gericht kann auch veranlassen, dass die Pipeline jetzt noch umgelegt werden muss.

Dann schadet das Ölrohr doch aber anderen Gebieten und Menschen.

Grundsätzlich ist die Pipeline woanders auch nicht gut, aber sie richtet weniger Schaden an. Die jetzige Strecke wurde nur gewählt, weil sie kürzer ist und damit billiger. Die ursprünglich geplante Südroute ist weniger gefährlich und führt durch weniger Reservate.

Wie hoch ist die Chance, die Klage zu gewinnen?

Schwer abzuschätzen. Ecuador ist eines der korruptesten Länder in Lateinamerika. Gerade jetzt hat Präsident Lucio Gutierrez den obersten Gerichtshof neu besetzt. Wir hoffen aber, dass unser andauernder Protest und die Klage genug Öffentlichkeit schaffen, dass den Leuten zu ihrem Recht verholfen werden kann. Die klagenden Menschen sind in Gefahr und kriegen Morddrohungen, tun es aber trotzdem, weil sie an den Erfolg glauben.

Unterstützt Sie die NRW-Landesregierung? Immerhin hat die damalige Tochter WestLB den Bau erst möglich gemacht, weil sie ihn finanzierte.

Die Landesregierung selbst hat sich bisher nicht zu einer einheitlichen Position durchringen können. Die grüne Landtagsabgeordnete Ute Koczy ist sehr engagiert gegen die Pipeline eingetreten. Die Grünen haben sich aber nicht durchgesetzt.

Das heißt: Einigen Fraktionsmitgliedern ist es egal, andere wollen durchgreifen?

Genau. Ute Koczy sagt zum Beispiel, NRW dürfe so etwas nicht finanzieren. Andere schieben die Verantwortung auf die WestLB, obwohl die Landesregierung mit 43 Prozent ja der größte Anteilseigner an der Bank war. Dabei muss die Landesregierung endlich zu ihrer Verantwortung bekennen. Wir hoffen, dass sie wenigstens in Zukunft solche Projekte nicht mitträgt und ihren Einfluss in der WestLB nutzt.

Künftige taz-AbonnentInnen können ihre Klage mitfinanzieren: Die taz nrw spendet für jedes neue Vollabo 30 Euro. Wohin fließt das Geld?

Das Geld wird der lokalen Nichtregierungsorganisation Accion por la vida zur Verfügung gestellt. Das ist eine Organisation, die sehr viel Rückhalt in der Bevölkerung hat. Mit dem Geld führt die Accion den Prozess gegen die Ölmultis, sie nimmt Gerichtstermine wahr, bezahlt einen Anwalt und erstellt Gutachten. Bei dem letzten Termin vor Gericht ist unser Anwalt erschienen und OCP ist gleich mit vier Anwälten angereist. Das zeigt, dass sie die Klage wirklich ernst nehmen.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES