„Das ist doch alles schizophren“

Katholische Kirche und Politik diskutieren über illegale Einwanderung. Öffentlichkeit wird gesucht – aber nicht zu viel

BERLIN taz ■ Bloß nicht auffallen. In der Welt der illegalen Einwanderer ist das der wichtigste Grundsatz. Wer zum Arzt geht oder versucht, seinen Lohn einzuklagen, muss mit seiner Abschiebung rechnen. Zwischen 500.000 und einer Million illegale Migranten leben nach Schätzungen des Katholischen Forums „Leben in der Illegalität“ in Deutschland. Trotz ihrer großen Zahl werden sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Auf der Jahrestagung Illegalität, die gestern in Berlin zu Ende gegangen ist, forderten die katholische Kirche und der Rat für Migration Mindestrechte für Illegale. In einem Manifest treten die Initiatoren für die medizinische Grundversorgung und das Recht auf Ausbildung der Kinder und Lohn für geleistete Arbeit ein. „Wir wollten das Thema kontrovers diskutieren und in die Öffentlichkeit bringen“, sagte Pater Jörg Alt, Mitorganisator der Veranstaltung. Geladen waren Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Kirche und Vertreter von NGOs (Nichtregierungsorganisationen).

Mit der Gratwanderung zwischen Öffentlichkeitsmobilisierung und interner Diskusssionsveranstaltung haben sich die Veranstalter dann aber etwas schwer getan. Von den kontroversen Diskussionen hat die Öffentlichkeit leider nur einen Ausschnitt mitbekommen. „Wir bitten darum, dass die Vertraulichkeit des Wortes gewahrt bleibt“, sagte die Moderatorin der abschließenden Podiumsdiskussion, Christine von Weizsäcker, zu den Journalisten. „Es handelt sich hier um eine Fachtagung, und wir wollen, dass die Teilnehmer frei und offen reden können.“ Auf dem Podium saßen neben von Weizsäcker unter anderem der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Bosbach, und Lutz Diwell, Staatssekretär im Innenministerium. Innenminister Otto Schily (SPD) hatte abgesagt.

Die Zurückhaltung hat ihren Grund: Illegale Einwanderer machen sich strafbar. Trotzdem kann der Staat ihnen ihre Menschenrechte nicht verwehren, nur weil sie sich illegal in Deutschland aufhalten. Auch wird vermehrt darüber diskutiert, ob restriktive Einwanderungsgesetze nicht eher die illegale Einwanderung begünstigen, als dass sie sie verhindern. So mancher Politiker möchte seinen offen diskutierten Standpunkt zu diesen Fragen am nächsten Morgen lieber nicht in der Zeitung lesen. Bloß nicht auffallen. „Trotzdem muss darüber gesprochen werden“, sagte Pater Jörg Alt. „Wissenschaftler, NGOs und Politiker müssen gemeinsam nach neuen Wegen suchen.“

Die Fronten waren am Ende klar gezogen. Während Kirchenvertreter für Straffreiheit für Ärzte, Lehrer und Pfarrer eintraten, die illegalen Migranten helfen, hieße es aus Politikermund: „Wer den Staat zur Durchsetzung seiner Rechte in Anspruch nimmt, muss die Rechtsordnung des Staates akzeptieren.“ Müsse also auch mit Abschiebung rechnen. „Das ist doch alles schizophren“, rief da jemand aus dem Publikum und bekam dafür verhaltenen Applaus.

Am Ende verlas Jörg Alt eine E-Mail, die er zuvor von einem illegalen Migranten erhalten hatte: „Ich weiß nicht, wie man jetzt noch aus der Illegalität rauskann und wieder eine Chance bekommt, in die Gesellschaft reinzukommen, ohne von der Polizei abgeholt zu werden.“ Eine Lösung konnte auch auf dieser Tagung nicht gefunden werden.

PHILIPP DUDEK