Rotzlöffel abzugeben

Jan Dittrich ist auf dem Weg zum neuen Westerwelle gescheitert: Es reicht nicht, die Kunst der Entgleisung zu beherrschen – man muss die anschließende Empörung auch aussitzen können

Auch eine Partei wie die FDP hat nur den Nachwuchs, den sie verdient

VON ARNO FRANK

Wie sollen junge Leute erstens ihren Lebensunterhalt verdienen, zweitens den Alten die Renten finanzieren und drittens ihre eigene Altersvorsorge bestreiten? Hm. Wer als junger Mensch über soziale und demografische Entwicklungen in Deutschland nachdenkt, dem kann durchaus mulmig werden. Wenn dieser junge Mensch überdies der Nachwuchsorganisation einer deutschen Partei vorsteht, dann muss er dieses Unbehagen auch öffentlich äußern. Engagiert. Pointiert. Fordernd. Pfiffig. Frisch. So zum Beispiel: „Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen.“

Das hatte im Sommer 2003 Philipp Mißfelder verkündet, damals 23 Jahre alt und Vorsitzender der Jungen Union, ohne dass es ihm geschadet hätte. Im Gegenteil hatte ihm die kalkulierte Entgleisung eine Aufmerksamkeit eingebracht, um die ihn andere Youngster mit Polit-Ambitionen beneidet haben werden. Und „je reicher und offener die Gesellschaft, umso offener und aufwendiger wird der Kampf um die Aufmerksamkeit ausgetragen“, wie Georg Franck in seiner „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ festgestellt hat.

So viel immerhin hat Jan Dittrich (28), Bundesvorsitzender der Jungliberalen, vom politischen Geschäft verstanden: Ich muss zuspitzen, provozieren, entgleisen lassen, damit alle hinschauen: „Der neue Armutsbericht macht klar: Die Alten leben auf Kosten der Jungen. (…) Es wird Zeit, dass die Alten von ihrem Tafelsilber etwas abgeben – einen Löffel oder besser gleich ein paar davon.“

Der Satz „Alte, gebt den Löffel ab!“ schaffte es denn auch auf Seite 1 der Bild-Zeitung – wo er prompt die Wirkung entfaltete, die ein solcher Satz auf dieser Seite nun mal zu entfalten pflegt: Von Norbert Blüm (CDU) über Ulla Schmidt (SPD) bis zu Guido Westerwelle (FDP) empörte sich das politische Establishment über den „Bengel“. Bei so viel Gegenwind sogar aus den eigenen Reihen sah der sich genötigt, den Schaden zu begrenzen. In einer Erklärung räumte Dittrich zunächst ein, er habe da wohl „den Bogen überspannt“, tags darauf musste der „Milchbubi“, „Lümmel“ und „Bengel“ von seinem Posten als Bundesvorsitzender der Jungliberalen zurücktreten: „Diese Entgleisung ist ein Fehler“ – diese allzu wortwitzige Entgleisung wohlgemerkt, nicht das Prinzip der Entgleisung allgemein.

Vielleicht ist Jan Dittrich einfach in der falschen Partei. Vielleicht hat er die wichtigste Tugend einfach noch nicht verinnerlicht: das Aussitzen. Einem Philipp Mißfelder wurde seine Entgleisung weit weniger krumm genommen – wir kennen, nachdem sich die Wogen geglättet haben, immerhin seinen Namen. Aber der Christdemokrat Mißfelder hatte sich auch nur über die kostenspielige Hinfälligkeit („künstliche Hüftgelenke“) der Alten echauffiert, nicht über ihr überflüssiges Dasein selbst („Löffel abgeben“) wie der Jungliberale – zumal die FDP sich als Anwältin der Marktkräfte und „Partei der Besserverdienenden“ prinzipiell nicht unbedingt als Partei der Herzen empfiehlt.

Die Frage, warum sich die FDP ein so schlichtes Gemüt wie Jan Dittrich als Vorsitzenden der Jungliberalen leistet, ist schnell beantwortet: Weil sie ihn verdient. Und wenn in der FDP jemand mit jugendlichem Leichtsinn über die Stränge schlägt, dann ist das immer noch ihr Vorsitzender. Der schimpfte über Dittrichs „unreife Entgleisung“. Stimmt, Westerwelle entgleist und rotzlöffelt reifer.