Syrien will mit Abzug beginnen

Die USA bezeichnen die Rede von Präsident Baschar al-Assad zum Libanon als nicht ausreichend. Der Verteidigungsminister in Beirut spricht von heute beginnendem Rückzug der syrischen Soldaten

VON KARIM EL-GAWHARY

In einem Punkt hatte der syrische Präsident Baschar al-Assad bei seiner Grundsatzrede Samstag auf Recht. „Ich weiß, wenn ich diese Rede beende, wird sie sofort angegriffen werden“, schloss er seinen langatmigen einstündigen Vortrag vor dem syrischen Parlament in Damaskus.

Lange Rede, kurzer Sinn: Assad kündigte an, die syrischen Truppen im Libanon zunächst in die ostlibanesischen Bekaa-Ebene und dann an die syrisch-libanesische Grenze zurückziehen zu wollen. Einen genauen Zeitplan dafür nannte er nicht. Doch wie der libanesische Verteidigungsminister Abdel Rahim Mrad gestern mitteilte, soll der Rückzug bereits heute beginnen, wenn beide Parteien dem Plan Assads bei einem Treffen zugestimmt hätten.

Wie von Assad erwartet, bezeichnete ein Sprecher des US-Außenministeriums diese Offerte anschließend als „nicht ausreichend“. Syrien müsse sich komplett zurückziehen, heißt es in Washington. Auch ein Sprecher des Weißen Hauses beschrieb das Angebot als „halbe Maßnahme“ und fügte hinzu: „Wir haben weder die Worte ,sofort', noch ,vollständig' gehört.“

Verwirrung war vor allem über Assads vage Formulierung „Rückzug an die syrisch-libanesische Grenze“ entstanden. Die syrische Regierungssprecherin Bouthaina Schaaban musste gegenüber den Medien anschließend erläutern, dass „der Präsident damit absolut klar gestellt habt, dass sich die Truppen nach Syrien … auf unsere Seite der Grenze zurückziehen werden“.

Die Reaktionen der libanesischen Opposition waren gemischt. Walid Dschumblatt, Drusenführer und prominentes Oppositionsmitglied im Parlament, bezeichnete Assads Worte als „positiven Anfang“ und verlangte einen genauen Zeitplan für den Abzug der Truppen. Andere Oppositionelle beklagten, dass zwar von einem Rückzug der syrischen Soldaten, nicht aber des Geheimdienstapparats die Rede war, der den Libanon wie eine graue Eminenz kontrolliert.

Assad selbst schürte diese Sorge, als er erklärte, dass ein Rückzug nicht bedeute, dass Syriens Einfluss im Libanon schwinden werde. „Wenn es einen libanesischen Konsens über den Abzug der Syrer gibt, werden wir nicht einen Tag länger bleiben“, spielte Assad in seiner Rede auf die innerlibanesischen Differenzen an. Er verteilte einen weiteren Seitenhieb auf die Demonstranten, die sich wie in den letzten Tagen auf dem Märtyrerplatz im Zentrum Beiruts versammelt hatten, um die Rede auf einem Großbildschirm zu verfolgen und mit Rufen wie „Bush sendet Grüße“ oder „Assad ist ein Lügner“ begleiteten: „Wenn die Kameras vom Platz der Märtyrer in die Totale zoomen würden, könnte man sehen, dass nur wenig Leute da waren“, sagte Assad. Vor allem die libanesischen Schiiten, die größte Bevölkerungsgruppe des Landes, haben sich bisher nicht den antisyrischen Protesten angeschlossen.

Assad verurteilte in seiner Rede, die er relativ trocken wie ein Anwalt oder ein Geschichtslehrer präsentierte, auch erneut den „entsetzlichen verbrecherischen Anschlag“ auf den ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri, „der nicht nur auf die Stabilität Libanons, sondern auch Syriens abzielte“.

Der syrische Präsident nannte in seiner Rede übrigens kein einziges Mal die USA oder Washington beim Namen. Er verwahrte sich aber gegen amerikanische Vorwürfe, dass Syrien nicht genug unternehme, die syrisch-irakische Grenze vor dem Einsickern von Dschihad-Kämpfern in den Irak zu schützen. Assad bemerkte spitz: „Wenn sie nicht einmal die Grenze nach Mexiko absichern können, wie können sie Gleiches von uns verlangen?“

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