„Die EU müsste viel konsequenter sein“

Der frühere Europaabgeordnete Ozan Ceyhun kritisiert die lasche Haltung der EU gegenüber der Türkei

taz: Herr Ceyhun, Sonntagabend waren im Fernsehen schockierende Szenen von einer Demonstration in Istanbul zu sehen. Frauen, die anlässlich des Weltfrauentags auf die Straße gingen, wurden brutal zusammengeschlagen. Wird das politische Konsequenzen haben?

Ozan Ceyhun: Ja, wahrscheinlich – aber nur, weil es in allen europäischen Fernsehanstalten gelaufen ist.

Gestern hielt sich Erweiterungskommissar Olli Rehn mit Ratsvertretern in Ankara auf, um den Fahrplan für Beitrittsgespräche abzustecken. Gibt es da einen Zusammenhang? Gibt es Kräfte im Apparat, die diese Gespräche torpedieren wollen?

Ach wo, da steckt gar kein politisches Kalkül dahinter. Für die Polizei waren das radikale Frauen und fertig. Die Europäische Union ist diesen Leuten piepegal. So was passiert in der Türkei jeden Tag. Das Verhalten der Polizei hängt allein davon ab, wer gerade den Einsatzbefehl hat. Erst am Samstag wurden in Ankara Demonstranten festgenommen. Meist erfährt die Öffentlichkeit halt nichts davon.

Also haben die viel gepriesenen Reformen nicht gegriffen?

Man kann das System nicht demokratisch machen, ohne die Strukturen zu ändern. Die jungen Polizisten werden jetzt gut ausgebildet. Aber die Chefs sind die alten geblieben, die gleichen Leute, die Folter für ein zulässiges polizeiliches Mittel halten.

Wie sollte die EU angesichts dieser Strukturprobleme mit der Türkei umgehen?

Die EU müsste viel konsequenter sein. Von dieser Regierung werden Dinge akzeptiert, die man bei keinem anderen Kandidatenland hinnehmen würde.

Reicht das Zugeständnis aus, die Vorfälle von Istanbul zu untersuchen?

Nein. Man muss klar machen, dass es in den Verhandlungen auch um Menschenrechte geht. Im höheren Dienst sitzen massenweise Beamte, die nicht umdenken wollen. Wenn Fortbildung nicht hilft, müssen solche Polizisten vom Dienst suspendiert werden. Für eine Türkei innerhalb der Europäischen Union sind sie untragbar.

INTERVIEW:

DANIELA WEINGÄRTNER