Pssst! Mutti war die Beste

Ich bin eine Frau aus dem Osten. Ich habe nicht nur ein gespaltenes Verhältnis zum Feminismus, sondern gar keins. Warum sollte ich auch?

von BARBARA BOLLWAHN

Ich hatte gedacht, dass der Mauerfall ein Ende der Parolen in meinem Leben eingeläutet hätte. Vorbei die Zeiten von „Alle Macht geht vom Volke aus“ und „Die Partei hat immer Recht“. Doch kaum waren diese Transparente verschwunden, tauchten neue auf. Ernährermodell. Doppelbelastung. Unvereinbarkeit von Kind und Karriere. Geschlechterkampf. Frauenquote. Frauenfeindlich, männerfeindlich.

Ich musste quasi eine neue Sprache lernen. Doch bis heute kommen mir diese Begriffe nicht über die Lippen. Weil ich nichts mit ihnen anfangen kann. Ich habe nicht nur ein gespaltenes Verhältnis zum Feminismus und zur Gleichberechtigung. Es ist viel schlimmer. Ich habe gar keins.

Warum das so ist? Gute Frage. Weil ich ohne Alice Schwarzer aufgewachsen bin? Weil ich hundert Prozent sicher sein kann, dass ich ein Wunschkind war, weil mich meine Mutter mit der größten Selbstverständlichkeit hätte abtreiben können? Weil Frauen im Blaumann rumgelaufen sind und niemand auf die Idee gekommen wäre, aus dem Blaumann eine Blaufrau zu machen? Weil ich jahrelang ein Kinderlied gesungen habe, in dem es hieß: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht / dann bleibe ich zu Haus“? Weil sich Frauen scheiden ließen, wenn sie die Nase voll hatten, und nicht blieben, weil sie nicht für sich allein sorgen konnten?

Es ist eine Tatsache, dass zwischen Ost- und Westfrauen Welten liegen – auch heute noch. Wenn beide das Gleiche machen, heißt es noch lange nicht, dass es auch das Gleiche ist. Was die einen Emanzipation nennen, nennen die anderen mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Während viele Westfrauen ihr Frausein zu einer Wissenschaft erheben, sind viele Ostfrauen einfach Frauen. Sie arbeiten und haben Kinder, wenn sie beides wollen, und sie reden nicht von Doppelbelastung. Sie verdienen ihr eigenes Geld und debattieren nicht über die Ernährerrolle des Mannes.

Meine Mutter zum Beispiel, eine studierte Landwirtin. Sie hatte, wenn man es so will, eine Dreifachbelastung. Drei Kinder, ihre Arbeit in der Landarztpraxis meines Vaters und ihre Rolle als Hausmeister für ein großes Haus mit Praxis. Im Winter ist sie morgens um fünf aufgestanden, um zentnerweise Kohlen in einen riesigen Ofen im Keller zu schippen. Mein Vater wusste nicht mal, wie der Ofen funktioniert. An dem Begriff Hausmeister hat sie sich nie gestört. Ihr war die Qualität der Kohle wichtiger als ein großes „I“.

Kaum hatte sie sich den Kohlenstaub vom Gesicht gewischt, hat sie Frühstück gemacht. Kaum war der Tisch abgeräumt, hat sie sich einen weißen Kittel angezogen und meinem Vater in der Praxis geholfen. In der Mittagspause hat sie den Arzt- gegen den Küchenkittel getauscht und das Essen gekocht.

Am Nachmittag hat sie mir und meinen Schwestern bei den Hausaufgaben geholfen, Fenster geputzt, den Garten umgegraben, gebügelt, die Wohnung sauber gemacht, Kuchen gebacken. Sie hat mir und meinen Schwestern aus alten Opa-Nachthemden Kleider genäht und bunt gefärbt. Und sie fand Zeit, auf Klassenfahrten mitzukommen und Bücher zu lesen. Und sie war immer gut gelaunt. Als die Kinder fast schon aus dem Haus waren, hat sie sich eine Arbeit gesucht, bei der nicht mehr ihr Mann der Chef war.

Ich bin stolz auf meine Mutter und ich bin ihr dankbar. Weil sie mir gezeigt hat, wie man viele Sachen gleichzeitig tun und trotzdem gut gelaunt sein kann. Sie hat mir aber auch Sachen vorgelebt, die mich abgeschreckt haben. Mein Vater gehört zu den Männern, die sich mit der größten Selbstverständlichkeit bedienen lassen. Klassisch ist die Situation, in der er zu mitternächtlicher Stunde im Sessel sitzt und zu meiner Mutter sagt: „Ach, ich hätte noch Appetit auf eine Kleinigkeit.“ Diese Bemerkung reicht aus, dass meine Mutter wie von der Tarantel gestochen aufspringt, um ihm etwas zu bringen.

Bei mir kann mein Vater mit diesem Spruch nicht landen. Von mir bekommt er dann immer zu hören, dass ich ihm gerne den Weg in die Küche zeige. Wenn er dann sagt: „Dein Mann tut mir jetzt schon Leid“, würde ich nicht im Traum auf die Idee kommen, meinem Vater einen frauenfeindlichen Spruch zu unterstellen oder mich nicht als vollwertige Frau zu fühlen.

Herrje, schon wieder so ein Wort. Dass ich eine Frau bin, ob vollwertig, vollschlank oder vollbusig, das weiß ich allein. Wenn ich Zweifel daran habe, reicht mir ein Blick in den Spiegel. Dazu brauche ich keine Ratgeber wie Emma oder Brigitte. Ich muss auch nicht mit anderen Frauen zusammen hocken und Vagina-Monologe führen. Ich kann einfach darüber lachen.