„Es ist angebracht, die Entscheidung deutlich zu verschieben“

Winfried Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen, hält Meads aus militärischen und finanziellen Gründen für zweifelhaft: „Die Ausgaben sind nicht verantwortbar“

taz: Herr Nachtwei, die Grünen sprechen sich gegen eine deutsche Beteiligung am Raketenabwehrsystem Meads aus. Der Haushaltsausschuss wird dem Projekt am kommenden Mittwoch aber wohl zustimmen?

Winfried Nachtwei: Es ist in keiner Weise ausgemacht, dass die Vorlage in der nächsten Woche durch den Haushaltsausschuss geht. Für uns ist die Sache nicht entscheidungsfähig. Wir haben erhebliche Bedenken bezüglich der militärischen Notwendigkeit, erst recht bezüglich der Vordringlichkeit dieses Systems. Wir halten die Ausgaben angesichts der Prioritäten und der Enge sowohl des Verteidigungsbudgets wie auch des Haushalts insgesamt für zurzeit nicht verantwortbar.

Befürworter verweisen auf die Verbreitung von Raketen. Es gibt also doch wohl eine reale Gefahr, gegen die man sich mit Meads verteidigen soll.

Das trifft so nicht zu. Hier wird nicht unterschieden zwischen Raketenbedrohung unterschiedlicher Reichweite. Es ist Fakt, dass gerade die Bedrohung durch ballistische Raketen unterhalb einer Reichweite von 1.000 Kilometern, gegen die Meads schützen soll, sogar zurückgeht. Und solche Raketen gibt es nicht überall auf der Welt. Daher stellt sich die Frage: Gehören zum möglichen Einsatzspektrum der Bundeswehr Zwangseinsätze rund um Nordkorea? Rund um den Iran? Ich meine, nein.

Für derzeitige Bundeswehreinsätze wäre Meads also nicht brauchbar?

In den Stabilisierungseinsätzen – und die machen 99 Prozent der bisherigen Bundeswehrauslandseinsätze aus – spielen Bedrohungen durch taktisch-ballistische Raketen praktisch keine Rolle. Selbst die USA haben deshalb weder in Afghanistan noch im Irak das Meads-Vorgängersystem Patriot stationiert.

Nun wird das System von Befürwortern auch für den Schutz vor terroristischen Angriffen auf das deutsche Territorium begründet, etwa von gekaperten Schiffen aus.

Das ist hochgradiger Unsinn. In allen Gesprächen, die wir in letzter Zeit mit der Bundeswehrspitze hatten, wird ausdrücklich nicht mehr davon ausgegangen, dass Meads eventuell auch für die Landesverteidigung der Bundesrepublik gedacht wäre. Wie selten sonst wird bei diesem Projekt das Denken in „Systemnachfolge“ deutlich. Man hat ein bestimmtes Waffensystem – und dann wird ein Nachfolgemodell entwickelt. Alles, was jetzt nachgeschoben wird an so genannter Bedrohungsanalyse, ist Begründungsgirlande.

Wie weit können Sie in ihrer Ablehnung innerhalb der rot-grünen Koalition derzeit gehen?

Wir sind in der Koalition grundsätzlich zu einem gemeinsamen Verhalten verpflichtet. Es ist also nicht möglich, dass der eine Partner zustimmt und der andere ablehnt. Also besteht zurzeit, angesichts der deutlichen Position beider Seiten, nur die Möglichkeit, darin festzustellen, dass wir jetzt nicht entscheidungsfähig sind. Dass also jetzt die Entscheidung nicht fallen kann.

Kann sich die Koalition einen weiteren Krach leisten?

Wir kennen die Großkrisenlage der Koalition. Uns liegt in keiner Wiese daran, eine weiter Krise hinzuzufügen. Deshalb ist es sehr angebracht, die Entscheidung zunächst einmal deutlich zu verschieben. INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ