Kennenlernen durch Spurensuche

Im Kölner Allerweltshaus wird heute das Projekt „Mit Konflikten leben lernen“ vorgestellt. Wer die Geschichte anderer versteht, meint Projektleiter Dogan Akhanli, baut interkulturelle Spannungen ab

taz: Herr Akhanli, der Kölner Appell gegen Rassismus startet im Frühjahr mit einem neuen Projekt. „Mit Konflikten leben lernen“ ist Titel und Ziel zugleich. Was verbirgt sich dahinter?

Dogan Akhanli: Der vollständige Titel lautet „Mit Konflikten leben lernen – Geschichten und Erinnerungen in unserer Vielfalt“. Wir wollen zwei Jahre lang mit Jugendlichen verschiedenster Herkunft die Vergangenheit der einzelnen Kulturen im Umgang miteinander erkunden. Da gibt es viele Gewalterfahrungen, die das Zusammenleben nicht nur der Migranten mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft schwierig machen, sondern auch den Umgang der Migranten untereinander. Armenier, Deutsche, Kurden, Roma, Sinti, Türken – sie alle verbindet eine wechselvolle Geschichte, die Teil der Menschheitsgeschichte ist. Jede Kultur kann innerhalb dieser Opfer und Täter gewesen sein. Das zu erkennen, ist wichtig.

Sie wollen also ein friedlicheres interkulturelles Zusammenleben schaffen über gemeinsame Vergangenheitsbewältigung. Wie genau wird die aussehen?

Wir starten im April mit einer Studienfahrt nach Berlin. Hier gibt es viele Orte, an denen man den Beziehungsgeschichten der armenischen, deutschen, kurdischen und türkischen Kulturen nachgehen kann. Die werden wir uns ansehen. Die Teilnehmer werden vor allem nordrhein-westfälische Aktive aus der interkulturellen Arbeit sein. Sie sollen als Multiplikatoren dienen und in ihren Heimatorten dann ehrenamtliche Kreise aufbauen. In Köln werden wir in einer zweiten Phase des Projekts konkret mit zwei Gruppen weiterarbeiten.

Dann werden Sie sich auch vor Ort auf die Suche nach der gemeinsamen Vergangenheit machen?

Ja, Kölner Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund werden unter fachkundiger Anleitung eine historische Spurensuche unternehmen. Das ist auch in Köln nicht schwierig. Wir haben hier zahlreiche Archive und historische Orte. Eine Gruppe aus Deutschen, Roma und Sinti wird ihre Recherche im ehemaligen Roma-Lager in Bickendorf beginnen und dann mit Unterstützung unserer Kooperationspartner Rom e.V. und NS-Dokumentationszentrum die Historie der Roma und Sinti in Deutschland bis zu ihren Wurzeln zurückverfolgen und dabei vielleicht überrascht feststellen, wie viele Jahrhunderte lang Roma und Sinti schon in Deutschland leben.

Welche Hintergründe wird die zweite Gruppe beleuchten?

Die zweite Gruppe wird aus so genannten Russland-Deutschen und Türken zusammengesetzt sein. Dazu haben wir uns wegen des häufig sehr angespannten und konfliktträchtigen Miteinanders dieser beiden Migrantengruppen entschieden. Auch hier gibt es weitreichende Gründe für alte Vorurteile. Die Türken haben gegen die Russen zur Zeit des Osmanischen Reiches immer wieder Krieg geführt. Dazu kommt, dass viele der hier lebenden Russen Juden sind. Das schürt das Konfliktpotenzial weiter. Dieses Spurensucheprojekt wird sich deshalb mit der Einwanderungsgeschichte der Russen und Türken beschäftigen. Am Ende soll eine Wanderausstellung zu diesem Thema entstehen.

Erwarten Sie auch innerhalb der Gruppen Spannungen?

Oh ja. Uns sagen sogar manchmal Experten der interkulturellen Arbeit, dass das nicht funktionieren kann. Aber wir wagen das Experiment, weil wir glauben, dass man Lernprozesse auslösen und fördern kann, wenn man neue Perspektiven auf vergangene Gewalterfahrungen und Menschenrechtsverletzungen bekommt. Wenn uns dies gelingt, ist unser Ziel erreicht. Interview: CHRISTIANE MARTIN

Das Projekt „Mit Konflikten leben lernen“ wird heute im Allerweltshaus von Ulla Kux (Aktion Sühnezeichen) vorgestellt (19 Uhr, Körnerstr. 77-79)