Weltweit vereint gegen Hurerei

Christliche Fundamentalisten aus aller Welt greifen nordrhein-westfälische Behörden an, weil sie die Schulpflicht für 15 Kinder baptistischer Familien aus Paderborn durchsetzen wollen

VON KLAUS JANSEN

Die Reaktionen auf das, was als „Paderborner Schulstreit“ begann, sind weltumspannend. „Wir bekommen Briefe aus ganz Deutschland, Russland, den USA“, sagt Maria Kisting-Dierker, zuständig für Schulwesen bei der Detmolder Bezirksregierung. Seitdem Landesregierung, Bezirksregierung und Schulamt im Dezember begonnen haben, 15 Kinder aus baptistischen Familien im Kreis Paderborn durch Zwang wieder zum Besuch öffentlicher Schulen zu bewegen, sehen sich die Behörden Protesten christlich-fundamentalistischer Gemeinden aus aller Welt ausgesetzt. „Es gibt Unterschriftenlisten, manche Menschen berichten von persönlichen Erfahrungen, andere ziehen NS-Vergleiche, alles querbeet“, sagt Kisting-Dierker.

Seit Monaten weigern sich die mehrheitlich aus Kasachstan stammenden selbst ernannten und nicht im Bund der evangelischen Freikirchen organisierten Baptisten, ihre Kinder an öffentlichen Schulen unterrichten zu lassen. Die Eltern berufen sich dabei auf die Religionsfreiheit: „Hurerei und Unzucht“, die im Sexualkundeunterricht gelehrt werden, verstoße gegen ihre religiöse Überzeugung. Bekannt sind diese Thesen vor allem aus dem US-amerikanischen christlichen Fundamentalismus: Fernsehprediger wie Jerry Falwell begeistern dort ihre Anhängerschaft mit Tiraden gegen Abtreibung und Evolutionslehre, christliche Gemeinden unterhalten dort eigene Schulen und Universitäten.

Für Andrew Schäfer, den Sektenbeauftragten der evangelischen Kirche im Rheinland, „schwappt“ dieser Trend aus den USA nach Europa hinüber: „Bei uns häufen sich Anfragen zu Schöpfungslehre und Sexualkunde“, sagt er. Über eine mögliche internationale Vernetzung der Paderborner Schulverweigerer lasse sich zwar nur spekulieren – eine solche Häufung von Protestbriefen habe allerdings eine neue Qualität. „Wenn man so will entsteht eine vom US-amerikanischen Fundamentalismus bestimmte weltweite Ökumene. Das ist ein kultureller Roll-Back“, so Schäfer.

Zumindest einem Elternpaar der Paderborner Schulverweigerer scheint nun aber das Portemonnaie offensichtlich wichtiger als der Glauben: Die Bezirksregierung Detmold bestätigte, dass zwei Kinder einer baptistischen Familie wieder eine öffentlich anerkannte evangelikanische Ersatzschule besuchen, nachdem ihnen zuvor ein Zwangsgeld von 500 Euro pro Kind und Erziehungsberechtigten angedroht worden war. „Dieses Geld kann beliebig wiederholt und gesteigert werden“, sagt Stephanie Paelicke, Sprecherin des NRW-Schulministeriums. Das Höchstmaß liegt laut Gesetz bei 100.000 Euro, muss allerdings an das Einkommen der Eltern angepasst werden.

Den Wechsel des Kinds auf die Ersatzschule feiern Bezirks- und Landesregierung als Erfolg. Auf christliche Werte müssen die bisherigen Schulverweigerer auch dort nicht verzichten: „Alle Lehrer sowie auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Trägerkreis der Schule sind entschiedene Christen. Das bedeutet, dass sie eine bewusste Entscheidung für Jesus Christus getroffen haben und sich durch sein Wort, die Bibel, leiten lassen möchten“, wirbt etwa die Georg-Müller-Grundschule in Bielefeld um Schüler. Allerdings: Als anerkannte Ersatzschule ist sie an Lehrpläne gebunden, inklusive Sexualkunde und Sportunterricht. „Die können dort ruhig ein Morgengebet machen, der Unterricht ist aber normal“, betont Maria Kisting-Dierker von der Bezirksregierung.

Ob sich die Eltern der 13 weiter vom Unterricht ferngehaltenen Kinder ebenfalls durch Zwangsgeld umstimmen lassen, ist mehr als fraglich. Die von Klaus Lefringhausen, dem Integrationsbeauftragten des Landes, moderierten Gespräche zwischen Bezirksregierung und Eltern werden zunächst nicht fortgesetzt. Auch ein Antrag auf Gründung einer privaten Grundschule ist noch nicht weiter konkretisiert worden. In den Behörden wird deshalb weiter geklagt: „Man kommt einfach sehr schlecht an diese Leute heran.“