Zwischen den Rillen
: Kickstart zur Happiness

Brachial, aber mit Attitüde: Mit „Human After All“ ergeben sich Daft Punk dem Rock. Und bleiben dabei doch immer schön digital

Es müssen gute Verträge sein, die Daft Punk mit EMI abgeschlossen haben. Wo andere Bands alle paar Monate in die Charts gescheucht werden, hat das französische Elektronik-Duo in acht Jahren gerade mal drei CDs veröffentlicht. Dadurch wächst aber auch der Druck: Schließlich weiß man nie, ob die Funkstille zwischen den Platten am Ideen-Burnout liegt oder die Verknappung einem Plan unterliegt: Soll der großraumdiscokompatible Sound des Duos durch die langen, vermeintlich kreativen Pausen etwa geadelt werden?

Natürlich wurde für „Human After All“ reichlich an der Geschmacksschraube gedreht. Denn der spezielle „french touch“ aus frequenzenfilternder House-Musik, mit der Daft Punk 1997 auf ihrem Debüt bekannt wurden, hat sich ziemlich abgenutzt. Was also bleibt einer Band, die immerhin das Wort Punk im Namen führt und die ihre Tracks gerne mal „Revolution“ nennt, noch an Schockpotenzial in diesen düsteren, posthistorischen Zeiten übrig?

Äußerst wenig, könnte man meinen. Und dann ist man bass erstaunt, weil Daft Punk eben doch wieder ein paar blinde Flecken auf der Landkarte des Zitatpops gefunden haben, die bislang niemand für den Dancefloor erschließen wollte.

Die Rede ist von Rock. Harter Rock, Heavy Rock, entfesselter und gitarrenfräsender Dröhnrock aus gigantischen Marshall-Türmen. Der Kickstart zur Happiness. Im Video zur Single „Robot Rock“ wird eine doppelhalsige Gibson-Gitarre gezeigt – früher ein heiliger Fetisch, den Led Zeppelins Jimmy Page herausholte, wenn bei „Whole Lotta Love“ noch Platz für ein Solo war. Daft Punk allerdings reicht es, wenn sie im Clip das antiquierte Monstrum für den Bruchteil einer Sekunde als wackliges Camcorder-Bild einblenden, der Sound dazu kommt ohnehin aus dem Sampler. Ähnlich ist auch der erhöhte Rockfaktor gelagert: Volle Kraft voraus, und trotzdem immer schön digital bleiben.

Das Ergebnis ist einmal mehr Verfeinerung und Reduktion. Jeder Track bekommt einen kurzen Loop aus dem Lexikon des Muckertums verpasst. Doch nach diesem Teaser verabschiedet sich die Gitarre wieder und der Beat schlägt stur im Viervierteltakt. Daft Punk sind Meister, wenn es um diese Strategie der Verkehrung von Zeichen geht, sie nutzen das fremde musikalische Terrain mit der bösartigen Naivität von Kindern, die einem Käfer zwei, drei Beine ausreißen und dann bestürzt sind, weil das Tier kaum noch krabbeln kann. Das hat wenig mit Dekonstruktion, aber viel mit Dekadenz zu tun.

Ganz gewiss ist „Human After All“ jedoch auch eine Negation all dessen, was die avancierte Apparatekultur hergibt. Hier wird kein Sound neu erfunden, sondern entlegener Trash wiederholt, durch den sich Daft Punk gewühlt haben – nicht von ungefähr beginnt „Robot Rock“ mit schmierigen Akkorden, die entfernt an Uriah Heep erinnern. Doch anders als bei den sentimentalen Siebzigerjahre-Reisen auf „Discovery“ wird der Verweis auf das historische Vorbild nicht affirmativ, eher schon mit einer distanzierten Kälte ins Spiel gebracht. Zugleich ist die Position, die Daft Punk damit gegenüber der momentanen Clubmusik einnehmen, ähnlich reserviert. In Zeiten von ProTool- und Qbase-Programmen führen sie mit ihrer Verhackstückung fossiler Rockstandards das Sampling selbst ad absurdum: Sind die Laptop-Artisten von heute in ihrer Technikgläubigkeit nicht die Erben der endlos vor sich hin improvisierenden Konzeptalbum-Saurier von einst?

Zu dieser Konvention elektronischer Wertarbeit stellt sich „Human After All“ mit seiner Freude an der akustischen Breitseite jedenfalls quer. Brachial, aber mit Attitüde.

HARALD FRICKE

Daft Punk: Human After All (EMI)