Württembergerlese

Der Schweinpelz, das Biedermeier und die hohe Kunst der Biografie: Ehrenfried Kluckert erzählt die Lebensgeschichten von Mörike und Schiller

VON TOM WOLF

Der wilde Südwesten war stets vom Geist getränkt: dem der Reben und dem der Philosophen und Poeten. Schlegel, Hegel, Schelling, Hölderlin, Schubart, Schiller, Uhland, Kerner, Schwab, Hauff, Mörike – sie alle waren Schwaben. Nun folgen gleich zwei schwäbische Jubeljahre aufeinander. Nach den Feiern zu Eduard Mörikes 200. Geburtstag am 8. September 2004 befinden wir uns inzwischen mitten im Schillerjahr, zu Ehren von Friedrich Schillers 200. Todestag am 9. Mai 2005. Diese Jubiläen nahm der Wahlschwabe Ehrenfried Kluckert zum Anlass, um beider Lebensgeschichten zu veröffentlichen.

Die Lektüre veranschaulicht die verschiedenen Schicksale Mörikes und Schillers und macht zugleich Kluckarts unterschiedliche Herangehensweisen deutlich. Während das Taschenbuch zu Schiller biografisches und literarisches Basiswissen verbreiten soll, will die doppelt so umfangreiche Mörike-Biografie – laut Jubel-Banderole ums Hardcover – „neue Maßstäbe“ in der Beschreibung eines weitgehend unbekannten Biedermeierpoeten setzen.

Im Falle des Weimarer Klassikers ist das Urteil schnell gefällt. Schillers Lebensgeschichte sorgt selbst dafür, dass man sie mit dem Gefühl verschlingt, etwas gelernt und manches aufgefrischt zu haben. Das Taschenbuchformat enthob Kluckert gar der Notwendigkeit, gegen die Langeweile anschreiben zu müssen – denn kann es Niederschmetternderes geben für einen Biografen als die Wiederkehr des immergleichen Erfolgsmusters? Schiller schrieb viele grandiose Stücke in kurzer Zeit; sie wurden mit großem Erfolg uraufgeführt und waren von da an in alle Ewigkeit klassisches Erbe: „Wallensteins Lager“, „Die Piccolomini“, „Wallensteins Tod“, „Maria Stuart“, „Die Jungfrau von Orleans“, „Die Braut von Messina“ und „Wilhelm Tell“. Da freut man sich fast, dass Schillers letzte, genau so produktive wie erfolgreiche Zeit in Jena und Weimar nur acht Jahre währte.

Die Vorgeschichte dieses Schaffensmaximums macht Schillers Leben aber zum dankenswerten Rohstoff für den Chronisten. Die trotz häuslicher Kargheit fröhliche Kindheit in Marbach, Würzburg, Lorch und Ludwigsburg wird von Kluckert prägnant beschrieben. Man sieht die Schwierigkeiten der Mutter, bei ausbleibendem Sold des Vaters, eines Leutnants und Werbers im Siebenjährigen Krieg, die Kleinfamilie zu ernähren. Man versteht die Sorgen des Vaters, der aus Not seinen einzigen Weinberg verkaufen muss. In Schillers Zöglingsleben in der Hohen Karlsschule des Herzogs Carl Eugen, der ab sofort als „sein Vater“ auftrat, gibt es bei aller Strenge auch Lustig-Erhellendes. So wird ein Schulfreund Schillers zitiert: „Er war einer von den unreinlichen Burschen, und wie der Oberaufseher Nies brummte: ein Schweinpelz!“ Schiller schaffte es trotz aller Widrigkeiten, sein Doktorexamen zu machen und Hofmedikus zu werden. Er schrieb die „Räuber“, entfloh den Häschern des Herzogs, zog einige Jahre erfolglos umher – doch ach, man sollte hier ja nicht alles verraten. Angesichts einer ewig schwachen Gesundheit wirkte wie kerngesundes Selbstvertrauen, was Schiller 1784 schrieb: Wenn „vielleicht in hundert oder mehr Jahren … man mein Andenken segnet und mir … Tränen und Bewunderung zollt – dann … freue ich mich meines Dichterberufes“.

Auch Kluckerts schneller Schillerkurs sorgt für Freude: Datentafeln und übersichtliche Inhaltsangaben der großen Werke erleichtern das Verständnis, Fußnoten und Stellenangaben fehlen völlig – was auch die eingearbeiteten Zitate davor bewahrt, in Seminararbeiten zu enden. Eine Schillerlektüre wird so zur erfreulichen Notwendigkeit.

Dagegen Mörike, der zeitlebens eine Scheurebe blieb. Kein Wein trägt seinen Namen, und das verstrichene „Mörikejahr“ bewirkte höchstens eine Renaissance des Frühlingsgedichts „Er ist’s“. Zum flott lesbaren Leben hatte er schlicht kein Talent. So ist auch jede neue Mörike-Biografie ein Buch für auserlesene Kenner.

Wen interessiert heute schon das Leben eines hypochondrischen Mannes der Biedermeierzeit, der sich als Pfarrvikar durch unzählige schwäbische Kuhdörfer quälte, bis er in Cleversulzbach nahe Neustadt am Kocher sein erstes festes Amt fand, um nach nur neun Jahren als Pfarrer bereits wieder in Rente zu gehen?

Immerhin haben ihn seine bösen, verbrecherischen Brüder mehrmals um Geld und Zeit betrogen. Auch hat er Fossilien gesammelt, ist Geisterspuk im eigenen Pfarrhaus auf der Spur und mit einem Freund in der guten Stube auf Schatzsuche gewesen. Später freilich hat er es abgestritten. Selbst dass der Held am Ende seines Lebens noch einmal anfing, Poesie an einer höheren Stuttgarter Töchterschule zu lehren und noch kurz vorm Tod mit seiner Ehefrau in Zwist geriet, macht die Sache nicht besser. Der Biograf Kluckert wählte die einzig mögliche Rettung, indem er so oft wie möglich die Sprache Mörikes als das eigentliche Metier seines Leben vorführt. Die zahlreichen Originaltöne aus Notizen und Briefen, die in den leicht verständlich geschriebenen Rahmentext eingearbeitet sind, bilden so eine Art von innerer Biografie, die Chronik eines reichen Innenlebens. Auf diese Weise scheint bald hinter allen äußerlichen Mörike’schen Lebensirrungen ein origineller, spritziger Sprecher auf, dessen Selbstironie man ebenso bewundern muss wie die Eleganz und Poesie seiner Wendungen. Nie ist er manieriert, nie pathetisch, zuweilen klassisch schön, immer keck und witzig.

Ist Kluckerts Buch aber eine Mörike-Biografie, die Maßstäbe setzt? Eher nicht. Es ist eine um Vollständigkeit bemühte, lebendige werkbiografische Erzählung, die am Ende in die schöne Mörike-Parole mündet: „No nix forciere!“ – was die Nichtschwaben mit „Nur nichts beschleunigen!“ übersetzen mögen. Kluckerts Biografie bleibt diesem Leben angemessen, denn sie kürzt nicht ab und erzwingt keine Stimmigkeit, wo zeitlebens Unklarheit herrschte.

Um den Sonderling Mörike indes zu popularisieren, dazu bewegt sich Kluckert zu vorsichtig im akademischen Rahmen – wenn es nicht sowieso unmöglich ist. Auch wird, was in der schlanken Form eines Schiller-Schnellkurses so begrüßenswert erscheint, im dickeren Buch zum Manko. Hier wünscht man sich die fehlenden Stellennachweise und Fußnoten herbei, nicht zuletzt, um den Textanteil ermessen zu können, den die in pauschaler Danksagung erwähnten früheren Biografen und Mörike-Forscher an Kluckerts Werk haben dürften. Ein Nichtkenner kann, da er keinen Hinweis auf die Quellen findet, leicht denken, Kluckert hätte sich diesen schwäbischen Filou samt seiner Texte einfach aus den Fingern gesogen. Immerhin, trotz aller Wunderlichkeit, wäre dieser Mörike eine sehr schöne Erfindung.

Ehrenfried Kluckert: „Schnellkurs Schiller“. Taschenbuch, 175 Seiten, 14,90 Euro Ehrenfried Kluckert: „Eduard Mörike. Sein Leben und Werk“. 304 Seiten, 24,90 Euro; beide DuMont Literatur, Köln 2004