Einheit des Kongo spaltet Kongolesen

Föderalismus oder Zentralstaat? Die Demokratische Republik Kongo streitet über eine neue Verfassung. Nach Krieg und Ausplünderung wollen viele Regionen möglichst wenig Zentralisierung – aber die Mächtigen sehen das anders

BRÜSSEL taz ■ Wie regiert man ein Land, so groß wie ganz Westeuropa, aber fast ohne Verkehrsinfrastruktur? Fast alle Parteien der Demokratischen Republik Kongo haben sich in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Gründen für Föderalismus ausgesprochen – also gewählte, autonome Provinzregierungen. Aber eine Kommission des Senats, Oberhaus des kongolesischen Übergangsparlaments, hat sich in ihrem Entwurf für eine geplante neue Verfassung stattdessen für einen „dezentralisierten Einheitsstaat“ (Etat unitaire décentralisé) entschieden – also für einen Zentralstaat, der lediglich Funktionen an kleinere Verwaltungseinheiten delegieren kann.

Diese brisante Entscheidung sorgt für politischen Streit. Eine Frist zur Annahme des Entwurfs durch den Senat verstrich gestern ohne Einigung; jeder Artikel wird jetzt einzeln diskutiert und abgestimmt. Erst wenn beide Parlamentskammern den gesamten Verfassungsentwurf bestätigt haben, kann die Vorbereitung eines Verfassungsreferendums sowie weiterer Wahlen beginnen. Die Übergabe der Macht im Kongo an eine gewählte Regierung mit einer neuen Verfassung, ursprünglich bis Juni 2005 vorgesehen, ist jetzt vor 2006 unwahrscheinlich.

Bisher war Kongo immer ein Zentralstaat. Kongos Bevölkerung hat sich aber immer für Föderalismus ausgesprochen, wenn sie es durfte – und die Mächtigen haben immer das Gegenteil gemacht. Die Verfassung von Luluabourg 1964, die mit Mobutus Militärputsch 1965 ihr Ende fand, installierte Föderalismus ebenso wie Zaires „Souveräne Nationalkonferenz“, die Anfang der 90er-Jahre das Mobutu-Regime demokratisieren sollte, und eine Reihe regionaler „Wiederaufbaukonferenzen“ nach dem Sturz Mobutus durch Laurent-Désiré Kabila 1997. Nichts davon wurde je umgesetzt.

Seit Kriegsausbruch 1998 bis zum Friedensschluss und der Bildung der amtierenden Allparteienregierung 2003 war Kongo faktisch geteilt – eine besonders unangenehme Form von Föderalismus. Die Antiföderalisten haben sich aufgrund dieser Erfahrung vorerst durchgesetzt. Es sei nötig, „den Zusammenhalt der Nation nach den jüngsten Kriegen zu konsolidieren“, erklärte die Verfassungskommission.

Die Föderalisten argumentieren umgekehrt: Nur durch funktionierende Provinzregierungen sei die Einheit des Landes überhaupt wiederherzustellen. Sie haben in weiten Landesteilen die Oberhand: Die mineralienreichen Süd- und Zentralprovinzen Katanga und Kasai, die Westprovinz Bas-Congo, dazu wachsende Teile der öffentlichen Meinung in den östlichen Kivu-Provinzen. All diesen Regionen ist gemein, dass sie wesentliche Teile des kongolesischen Reichtums produzieren. Sie wollen darüber selbst verfügen, statt die Entscheidungshoheit einer fernen und korrupten Zentralmacht zu überlassen.

Die politischen Stimmen der Föderalisten sind die ostkongolesische Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) und Kongos größte zivile Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt). „Föderalismus bedeutet, die Regierenden näher an die Regierten zu bringen“, erklärt Moise Nyarugabo, RCD-Fraktionsführer im Parlament. „Heute kennt das Volk die Machthaber in Kinshasa nicht, und diese haben keine Ahnung vom Volk. Es gibt ganze Landstriche, wo die Leute überhaupt nicht wissen, welcher Provinz sie angehören, weil sowieso nichts funktioniert. In einem föderalen System würde das Volk die lokalen Machthaber wählen und sie hätten Verantwortung zu tragen. Das würde Korruption und Diebstahl verringern.“

Es gibt aber auch die Gefahr, dass Föderalismus Anlass für ethnische Säuberungen bietet: wenn nämlich darunter das Recht verstanden wird, Ortsfremde auszugrenzen und „nach Hause“ zu schicken. Die Bewegung „Bundu dia Kongo“ in Bas-Congo hetzt gegen „Auswärtige“ in ihrer Provinz; in Kivu denunzieren manche Politiker die ruandischsprachige Bevölkerungsgruppe als „Ausländer“.

Viele Beobachter bedauern, dass die Entscheidung „Föderalismus versus Zentralstaat“ nicht dem Volk überlassen wird. Aber auch wenn die föderale Option sich durchsetzen sollte, blieben ungelöste Fragen: zum Beispiel die Verteilung der Staatseinnahmen zwischen Provinz- und Zentralregierung. In Afrikas größtem föderalen Staat Nigeria sorgt dieser Punkt für endlose Konflikte. FRANÇOIS MISSER