Kein Kuss am Kühlregal

Der US-Discounter Wal-Mart verbietet seinen deutschen Angestellten die Liebe am Arbeitsplatz –und nennt diesen Eingriff ins Privatrecht „Ethikrichtlinie“. Dabei könnte er sogar davon profitieren

VON ANJA MAIER

Birkel’s Nr. 1, die beliebten Hartweizen-Eiernudeln, sind bei Wal-Mart grad im Angebot. So lange der Vorrat reicht, macht die Kilopackung 1,11 Euro. Da kann man nicht meckern. Und weil der Discountmarkt den Posten so preiswert eingekauft hat, hat er gleich ein bisschen mehr geordert. Viel Arbeit für die Angestellten, palettenweise wird die Ware in die Regale sortiert. Viel Zeit verbringen die Kollegin und der Kollege da miteinander. Man kommt sich näher beim Austausch von Nudelrezepten.

Aber halt! Nicht dass aus dem Plausch eine Verabredung zum Pastaessen wird, womöglich noch mit Birkel-Nudel-up-Soße, das 400-Gramm-Glas derzeit auch im Angebot. Denn Wal-Mart, der US-amerikanische Global Player mit 91 deutschen Filialen, legt Wert auf die Einhaltung der Ethikrichtlinien des US-amerikanischen Mutterkonzerns.

Mit der Februar-Gehaltsabrechnung bekamen alle 13.000 Mitarbeiter ein Schreiben. „Sie dürfen nicht mit jemandem ausgehen oder in eine Liebesbeziehung treten“, steht da, „wenn Sie die Arbeitsbedingungen dieser Person beeinflussen können oder der Mitarbeiter Ihre Arbeitsbedingungen beeinflussen kann.“ Die Wünsche der Wuppertaler Konzernleitung gehen noch weiter: „Wenn Sie erfahren, dass ein anderer Mitarbeiter ein Gesetz verletzt […] haben Sie darüber unverzüglich zu berichten.“ Andernfalls droht Kündigung.

Eine interessante Unternehmensphilosophie, die da nun über den großen Teich schwappt. Nicht nur, dass Wal-Mart-Angestellte schon jetzt jeden Morgen einem Teammeeting mit anschließendem „Wal-Mart Cheer“ – einer Art Sonnengruß an die Filialleitung – beiwohnen müssen. Jetzt regelt der Chef auch gleich noch ihr Liebesleben.

Möglicherweise sollte Wuppertal kurzfristig eine Telefonkonferenz mit den Waltens abhalten. Denn die US-amerikanischen Wal-Mart-Besitzer – die auf der Liste der reichsten Menschen weltweit die Plätze 10 bis 13 innehaben – scheinen den aktuellen Forschungsstand nicht zu kennen. Arbeitspsychologen sehen es längst als erwiesen an, dass Balzen an der Werkbank ausgesprochen positiv fürs Unternehmen ist. Verknallte Arbeitnehmer kommen gern zum Dienst. Und Darwin’sche Gesetze zwingen sie, ihrem Auserwählten ihre Tüchtigkeit und Kompetenz zu demonstrieren – was auch erklärt, dass gemischtgeschlechtliche Teams deutlich erfolgreicher arbeiten. Hinzu kommt, dass eine zum Beispiel über Schreibtische hinweg geknüpfte Liebe deutlich haltbarer ist. Schließlich haben beide jeden Tag Stunden Zeit, die sozialen und emotionalen Kompetenzen des jeweils anderen zu scannen. Und wird daraus was Ernstes – sagen wir Kinder –, gibt es später kein Gerangel darüber, wer im Job entbehrlicher sein könnte. Darüber entscheidet in Deutschland immer noch die Gehaltsabrechnung.

Ist die Hierarchie in einer Beziehung allerdings gestört, gerät das Verknüpfen von Beruflichem und Privatem womöglich auch zum Nachteil der Firma. Erst recht, seit gut ausgebildete Frauen die Chefetagen entern und das Leiden betrogener und ausrangierter Ehepartner ausgiebig Niederschlag in Ratgeberbüchern findet. In den USA wird schon heute jeder, auch jeder Wal-Mart-Angestellte im Arbeitsvertrag gewarnt: „No hanky-pank with the payroll“ – Kein Fummeln mit Kollegen.

Dass Wal-Mart auch in Europa mit derlei Warnungen im Arbeitsvertrag durchkommt, ist unwahrscheinlich. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat Rechtsmittel gegen Wal-Mart Deutschland angekündigt. Und auch der Berliner Fachanwalt für Arbeitsrecht Ulf Weigelt sagt, dazu befragt, dem Stern: „Solche Klauseln würden gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen.“ In den USA tun sie das offenbar nicht. Durch Affären gewarnt wie die des vor Wochenfrist geschassten Boeing-Chefs Harry Stonecipher (68), der über den von ihm selbst aufgestellten Unternehmenskodex gestolpert war, weil er etwas mit einer Kollegin hatte. Oder die unselige Schlammschlacht der Clinton-Lewinsky-Affäre – die Amis wissen, dass derlei ganz böse enden kann.

Aber auch gut. Und weil Wal-Mart die Macht der Liebe nicht nur in Bezug auf den Champagner-Umsatz zu schätzen weiß, ist das Unternehmen ein großer Kuppler am Kühlregal. Jeden Freitagabend von sechs bis acht ist dort nämlich Wal-Mart-Single-Shopping. „Unverkrampftes Flirten in allen Supercentern“, verspricht Unternehmenssprecherin Susanne Müller jedem, der am „Flirtpoint“ im Eingangsbereich einen Einkaufswagen wählt, der mit einer roten Schleife drapiert ist. Man möchte damit „einsamen Herzen die Gelegenheit bieten, einander näher zu kommen“. Bavaria-Blue-Käse oder Bonbel, beide derzeit für 1,17 statt 1,37? Das sind so Fragen, die der Klärung bedürfen, bevor es was Ernstes werden könnte.

Wal-Mart-Angestellte allerdings müssen mit der Antwort bis nach Feierabend warten. Dann können sie ihren weiß-blauen Kittel ausziehen, am Flirtpoint einen Flirtbuggy kapern und mit dem netten Kollegen vom Nudelregal den Wochenendeinkauf durchdiskutieren. Aber vielleicht sollten sie das Geld dann doch besser einem anderen Händler geben.