BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Achtung, Bordsteinschwalbe am Steuer!

Den Führerschein hab ich im Osten gemacht. Doch das Fahren musste ich mit Westlern lernen

Es gibt Sachen im Westen, an die werde ich mich nie gewöhnen. Dieses Bedürfnis, sich vor laufender Kamera und der ganzen Nation zur Schau zu stellen, zu heiraten, Entschuldigungsfeuerwerke zu zünden, die Kinder zu erziehen. Da scheint es selbstverständlich, dass auch Führerscheinprüfungen live und in Farbe abgelegt werden. So wie jetzt wieder auf RTL, wo Deppen Deppen dabei zusehen können, wie sie die Vorfahrt missachten und das Einparken vergeigen.

Da bin ich heilfroh, dass ich meinen Führerschein im Osten gemacht habe, als Farbfernsehgeräte und ein eigenes Auto noch eine kleine Sensation waren.

In der DDR ist kaum jemand durchgefallen. Irgendwie waren alle gut und tüchtig. Als Werktätige, als Teil des Kollektivs, als Fahrschüler. Zur Not wurde ein bisschen nachgeholfen. Mein Fahrlehrer ist während der theoretischen Prüfung ein paar Mal vor die Tür gegangen, um zu rauchen. Auch bei dem praktischen Teil ließ er Nachsicht walten. Weil meine Prüfung am Tag nach der Hochzeit meiner älteren Schwester stattfand, übersah er großzügig, dass ich einmal nicht blinkte und beim Rückwärtseinparken mehrere Anläufe brauchte. Da habe ich ihm gern verziehen, dass seine Hand immer mal wieder vom Schaltknüppel auf mein Knie gerutscht war. Ich war 18 und wollte den Führerschein.

Die Probleme begannen nach dem Erwerb des Fahrerlaubnis. Ich wollte Fahrpraxis und bekam sie nicht. Um meinen eigenen Trabi lenken zu können, hätte ich mehr als zehn Jahre warten müssen. In der Garage meiner Eltern stand zwar ein Wartburg. Doch das war der Dienstwagen meines Vaters und somit tabu. Als er sich privat einen Moskwitsch zulegte, durfte ich auch nur auf den Beifahrersitz. Ans Steuer ließ er mich nicht.

Es war der Westen, der mir half, mich im Straßenverkehr zurechtzufinden. Ein Jahr nachdem ich den Führerschein gemacht hatte, trampte ich nach Bulgarien und klagte jedem Truckfahrer, der mich mitnahm, mein Leid. Am 11. August 1983 wurde ich erhört. Ich weiß das Datum noch so genau, weil es ein Dokument darüber gibt.

Josef, ein Fahrer aus Österreich, ließ mich in Rumänien seinen 16 Meter langen Mercedes fahren. Ich war schwer beeindruckt. Denn die Firma „Schmutz & Co“, für die er fuhr, war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ich kam mir vor wie der König der Landstraße, als ich von dem riesigen Fahrerhaus hinab auf die Straße blickte und mehrere Fuhrwerke überholte, die von Kühen gezogen wurden.

Josef stellte, ohne mir vorher ans Knie gefasst zu haben, ein Schriftstück für meinen Vater aus. „Ich, Josef, Fahrer der Firma Schmutz & Co., bestätige, dass Ihre Tochter Barbara eine Strecke von sechs Kilometern mit vier Überholmanövern anstandslos zurückgelegt hat.“ Um das Ganze amtlich zu machen, setzte er den Firmenstempel drunter. „Schmutz & Co Gesellschaft m.b.H. Nah- und Ferntransporte, 3100 St. Pölten/Pottenbrunn“. Voller Stolz präsentierte ich den Schein meinem Vater. „Schmutz & Co“, höhnte er und erklärte den österreichischen Fernfahrer für bekloppt.

Natürlich reichte der kleine Praxistest auf der rumänischen Landstraße nicht aus, um wirklich fahren zu können. Deshalb übte ich nach dem Mauerfall im Westen weiter, mit einem entzückenden 2CV, den mein damaliger Freund hatte. Als wir von einer Party nach Hause fuhren, ließ er mich in den frühen Morgenstunden ans Steuer. Obwohl die Straßen so gut wie leer waren, donnerte ich gegen eine Bordsteinkante. Er merkte das nicht, weil er betrunken war. Ich fand das total lustig, weil ich bekifft war. Als ich das zweite Mal gegen die Bordsteinkante knallte, schimpfte er, weil ihm die Bierflasche aus der Hand gefallen war. Beim dritten Mal war der Reifen im Arsch und die Stimmung im Eimer.

Ich stellte das Auto ab und wir fuhren mit dem Taxi nach Hause. Am nächsten Tag fand ich das Auto nicht wieder. Ich hatte es im Halteverbot geparkt. Deshalb war es abgeschleppt worden. Hätte man die Tour gefilmt und ausgestrahlt, ich hätte sicher eine Spitzenquote gehabt.

Fragen zu Schmutz & Co? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE