Maut-Flüchtlinge auf den Bundesstraßen

Seitdem Spediteure auf der Autobahn Wegezoll zahlen müssen, verstopfen Laster die Ortschaften. Nachgezählt hat allerdings noch niemand. So wird es noch dauern, bis dort eine Maut erhoben wird. Dabei hat sie der Verkehrsminister angedroht

VON HANNA GERSMANN

Karlheinz Schmidt hat zurzeit viel zu tun. Er ist Chef des Logistik- und Spediteurverbandes BGL. Er muss sich wehren gegen Vorwürfe, dass auf den Bundesstraßen mehr los ist. Gestern verteidigte er seine Branche in Nierstein am Rhein. Dort auf der B9, so meinen die Anwohner, fahren mehr Laster, seitdem auf den Autobahnen Maut kassiert wird. Schmidt kontert: „Die waren auch früher schon da.“ Nur seien jetzt alle sensibilisiert. Logisch, dass Schmidt das so sieht. Denn Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) hatte für den Fall einer Mautflucht auf die Bundesstraßen angedroht, den Zoll auch dort zu erheben.

Knapp 50 stärker belastete Strecken hat allein der Umweltverband BUND in ganz Deutschland ausgemacht. Darunter die B1 im westfälischen Soest, wo die Lkws die A 44 und die A 2 umgehen. Genauso die B 5 in der Nähe von Hamburg. Attraktiv sind alle Bundesstraßen, die parallel zur Autobahn verlaufen und sehr gut ausgebaut sind, sagt BUND-Verkehrsexperte Tilmann Heuser. Nachts, wenn alle Ampeln abgeschaltet seien, werden noch weitere Ortsdurchfahrten für eilige Fahrer interessant.

Vier Liter Diesel mehr brauchten die Laster auf Landstraßen pro hundert Kilometer, sagt Schmidt. Noch wichtiger sei aber der Zeitfaktor. Mehr Stunden auf der Straße könnten sich allenfalls die osteuropäischen Spediteure leisten. Sie zahlen weniger Lohn. Schmidt: „Schauen Sie doch mal auf die Nummernschilder.“ Wer ausländische Kennzeichen entdecke, habe es mit Mautflüchtlingen zu tun. Und die deutschen? „Zulieferverkehr“, so Schmidt.

Komisch: Mittlerweile gibt es elektronische Routenplaner, die berechnen, ob sich das Ausweichen auf die Bundesstraße lohnt. Und die kaufen auch deutsche Spediteure. FSL, aus der Nähe von Kiel, ist einer von gut zehn Anbietern in der Republik. Dessen Programmentwickler Gunter Karl sagt stolz: „Wir haben mehrere hundert Lizenzen verkauft.“

Für Karlheinz Schmidt heißt das nichts. Für ihn zählt die Bestandsaufnahme der Bundesregierung. Die allerdings lässt auf sich warten. Zwar stehen an Autobahnen und Bundesstraßen schon immer Zählstellen. Deren Daten werden aber erst Ende dieses Jahres ausgewertet, erklärt Iris Schneidermann von der Bundesanstalt für Straßenwesen. „Sonst sind sie nicht aussagekräftig.“ Stolpe-Sprecher Jürgen Frank kündigte allerdings schon für den Sommer erste Ergebnisse an. Die EU erlaubt eine Ausweitung der Maut auf Bundesstraßen jedenfalls erst, wenn es „nachweislich“ zu einer Verkehrsverlagerung kommt.

Und dann gibt es noch ein technisches Problem: Die Boardcomputer, die On-Board-Units, können derzeit nicht aktualisierst werden, keine neuen Mautstrecken aufnehmen. Eine Schwäche im Programm, die erst 2006 behoben wird. Dann tauschen alle Spediteure ihre Geräte gegen neue aus.

Genervte Bürger können kurzfristig nur Durchfahrverbote und Tempolimits fordern. Und sie können sich an der Aktion „Maut-Flucht stoppen“ beteiligen, die der Verkehrsclub Deutschland gestern startete. Unter www.vcd.org gibt es dazu einen Fragebogen. Der VCD will Druck machen – auch auf den obersten Lkw-Fahrer Deutschlands, Karlheinz Schmidt.