Das nautische Puppenheim

Ozeanische Gefühle: Wes Andersons Komödie „Die Tiefseetaucher“ findet Trost für die Demütigungen des Hier und Jetzt, indem sie der Melancholie verfällt. Bill Murray spielt den alternden Ozeanforscher Steve Zissou mit einer Vielfalt stoischer Gesichtsausdrücke. Und Jacques Cousteau stand Pate

Das Expeditionsschiff sieht aus, als sei Cousteaupersönlich damit überdie Weltmeere geschippert

VON ANDREAS BUSCHE

Wenn die unerschütterlichen Neurotiker aus den Filmen Wes Andersons eines gemein haben, dann ist das ihr Urvertrauen, in der rückwärts gewandten Melancholie doch noch Trost für die Demütigungen im Hier und Jetzt zu finden. Ein Hang zur Boshaftigkeit ist dem kleinen Universum Andersons inhärent. Doch so lustvoll er die exzentrischen Macken seiner Anti-Helden auch vorführt, Anderson will ihnen immer den Weg an einen schützenden Rückzugsort weisen. Sein bisheriges Schaffen ist auf dieser Idee einer tröstlichen Nostalgie errichtet. Und so sehen Andersons Filme auch aus: „The Royal Tenenbaums“ verhehlte erst gar nicht die Tatsache, dass wir in einer schmerzlichen Familienchronik blätterten. „Die Tiefseetaucher“ (im Original: „The Life Aquatic with Steve Zissou“) führt uns nun in die fantastische Unterwasserwelt des Jacques Cousteau, an einen nostalgischen Ort: tiefschwarz, dem Einfluss des Menschen entzogen, als wäre die Zeit einfach stehen geblieben.

Andersons filmische Vision ist auf liebenswerte Weise regressiv. „Die Tiefseetaucher“ greift nach der Vergangenheit, indem er die materielle Qualität von Erinnerungen beschwört. Farben spielen dabei eine wichtige Rolle. Anderson benutzt sie ganz bewusst als nostalgische Signifikanten. Das Rot der Pudelmützen von Steve Zissou (Bill Murray) und dessen Schiffs-Crew zum Beispiel kontrastiert mit dem Blau der schnittigen 60er-Jahre-Matrosenuniformen. Farben aktivieren unsere Erinnerung; zugleich erfahren sie in unserer Erinnerung eine neue Stofflichkeit. Sie bleiben uns selbst dann noch im Gedächtnis haften, wenn der Eindruck von Form oder Gestalt längst verloren gegangen ist. Paradoxerweise widersetzt sich ausgerechnet hier das menschliche Erinnerungsvermögen den chemischen Gesetzen des Filmmaterials; im Kino verblassen die Farben als Erstes. Anderson ist sich dieser Eigenschaft wohl bewusst und arbeitet aktiv gegen das Vergessen an: Das gelbe Unterseeboot mit dem durchgestrichenen Namen der Verflossenen an der Flanke – ein doppelt codiertes (Nicht-)Vergessen –, die roten Taucheranzüge, Smarties-farbene Seepferdchen, giftgrüne Eidechsen und magisch fluoreszierende Quallen kolorieren die überdeterminierte Welt des depressiven Aquanauten Steve Zissou.

Bill Murrays unerschöpfliches Repertoire an stoischen Gesichtsausdrücken verleiht der sublimen Bewältigungsarbeit in Andersons Filmen seit „Rushmore“ eine stets willkommene Unberechenbarkeit. „Die Tiefseetaucher“ beginnt mit der Premiere von Zissous neuer Unterwasser-Dokumentation, deren Dreharbeiten ein tragisches Ende nahmen: Sein langjähriger Partner Esteban wurde Opfer eines riesigen Jaguarhais. Und da Zissous einst so ruhmreiche Karriere ohnehin an einem toten Punkt angelangt ist, verkündet er auf der Pressekonferenz, dass sein letzter Beitrag zur Meeresbiologie darin bestehe, diesen Hai, womöglich den letzten seiner Spezies, zur Strecke zu bringen. Der wissenschaftliche Zweck dieser Aktion? „Rache!“

André Bazin hat über die Filme Jacques Cousteaus geschrieben, dass die Poesie der Unterwasserforschung nur über die Bezauberung des Geistes, aus der sie geboren wurde, zur Wissenschaft zurückführen könne. In „Die Tiefseetaucher“ lässt sich diese „Bezauberung des Geistes“ kaum noch in Poesie und Wissenschaft trennen. Zissous Schiff, die „Belafonte“, ist eine klapprige Antiquität, die aussieht, als sei Jacques Cousteau persönlich noch mit ihr über die Weltmeere geschippert. Ein Querschnitt durch dieses nautische Puppenhaus offenbart, dass selbst Wissenschaft in „Die Tiefseetaucher“ nur noch als nostalgische Reminiszenz fungiert. Holzvertäfelt und heimelig eingerichtet, erweitert um einen Unterwasser-Ausblick und angetrieben von hydraulischen Maschinen, wirkt das Innenleben der „Belafonte“ wie aus der Ära Jules Vernes, als Wissenschaft noch eine saubere Vorstellung von Modernität vermittelte.

Irgendwann hat sich über diese beharrliche Beschäftigung mit emotional aufgeladenen Vergangenheitsfragmenten auch ein neues Zeitgefühl im Erleben der Gegenwart eingestellt. Denn viel passiert nicht auf der „Belafonte“. Selbst die Hochsee-Piraten, die kurzzeitig in dieses Ambiente gepflegten Nichtstuns platzen, führen sich wie ein Haufen unbezahlter Animateure auf. Anjelica Huston raucht ununterbrochen lange, eklige Zigarillos. Cate Blanchett, als hochschwangere Reporterin eher zufällig in diese seltsame Gesellschaft geraten, macht mit Owen Wilson in ihrer Kajüte rum, der wiederum ist vielleicht Zissous unehelicher Sohn, vielleicht nicht, und Willem Dafoe (mit deutschem Akzent!) zieht permanent einen Flunsch. Andersons verschwenderischer Umgang mit der kritischen Ressource Zeit in einem Film, dessen kostbarstes Gut die Erinnerung an vergangene Zeiten darstellt, muss hier wie blanker Hohn erscheinen.

Im Modus der Erinnerung findet „Die Tiefseetaucher“ schließlich seinen inneren Frieden. „Glaubt ihr, er hat sich an mich erinnert?“, fragt Murray am Ende mit tränenerstickter Stimme, nachdem er seinem Todfeind, dem mörderischen Jaguarhai, ein letztes Mal in die Augen geblickt hat. Und dann legen ihm seine Crew-Mitglieder wortlos eine Hand auf die Schulter. Sie halten ihn fest, damit Steve Zissou nicht wieder in die Vergangenheit entschwinden kann.