Der Funker aus Fargo

Nachdem Schultz über die erfolglosen Demokraten geschimpft hat, sagt er, Bush sei kein Amerikaner mehr. Dann braucht er ein Steak

AUS FARGO MICHAEL STRECK

Am Ende singt er. Oder er schweigt ein paar Minuten, liest Mails und lässt sich einfach in seinen Ledersessel fallen. Alles, nur nicht mehr reden. Das hat er gerade drei Stunden getan. Ein Standardsatz aus dieser Zeit bleibt hängen: „Ich erkläre dir jetzt mal, warum ich nicht mehr auf der falschen Seite bin“, dem dann meist ein verbales Trommelfeuer gegen die „Righties“ und „Bushies“ folgt. Ja, er mag es deftig und schnörkellos.

Ed Schultz ist Talkmaster im Radio. 50 Jahre alt. Konvertierter Republikaner aus Bush-Country. Er fährt einen schweren Geländewagen, liebt American Football und Ronald Reagan, ist Jäger und Waffennarr. Sein Sohn ist Golf-Champion an der Texas Christian University, er ein wiedergeborener Christ. Und er ist der neue Hoffnungsträger der Demokraten im Hinterland Amerikas.

Schultz braucht Platz hinter seinem Mikrofon. Er hat eine Fleischerfigur und wiegt 120 Kilo. Wenn er spricht, dann oft mit Körpereinsatz. Sein Gesicht ist angestrengt. Die Füße wippen auf dem Boden. Er wirkt sprungbereit, als wären die Reflexe aus seinen alten Tagen als Quarterback beim Football noch da.

„Big Eddie“ kommt in New York aus dem Radio, in Boston, San Francisco, Seattle und all den anderen Hochburgen der Liberalen in den USA. Ins Radio kommt er in Fargo. North Dakota.

Im Studio fühlt man sich in die 80er-Jahre zurückversetzt. Die Mischpulte sind reif für das Technikmuseum. Die Wände sind graugrün und mit schwarzer Schaumstoffisolierung beklebt. In einer Ecke hängen Fotos mit Bush-Witzen. Der Blick aus dem Fenster fällt auf die Prärie und die austauschbaren Bausteine der amerikanischen Vorstadt-Landschaft. Der Dauerfrost hat Reste dreckigen Schnees konserviert. An manchen Stellen haben Räumfahrzeuge hohe Schneeberge aufgetürmt.

Schultz hat dafür gesorgt, dass North Dakota für Amerikaner kein Ausland mehr ist und Fargo nicht mehr nur ein Film. Jeden Wochentag geht er von hier aus auf Sendung, „straight talk from the heartland“, wie er sagt. Er erzählt von ländlicher Armut, vom Farmsterben, fordert starke Gewerkschaften, höhere Mindestlöhne und mehr Umweltschutz. Im Unterschied zu den Martini-Liberalen der Ostküste weiß er, wovon er spricht.

Seit über 25 Jahren ist er hier zu Hause. Er liebt diese Gegend, anderthalb Flugstunden nordwestlich von Chicago und kurz vor der kanadischen Grenze. Das Grasland. Die unzähligen Seen. Und den Charakter der Leute, Nachfahren skandinavischer, russischer und deutscher Einwanderer: ehrlich, fleißig, patriotisch. „Du musst hier echt sein und glaubwürdig. Die merken, ich bin ein stinknormaler Typ.“

So stiehlt er zunehmend aufgeblasenen, konservativen Radio-Königen und Millionären wie Rush Limbaugh oder Sean Hannity die Show. Seit Jahrzehnten beherrschen sie die Ätherwellen zwischen Appalachen und Rocky Mountains. Schultz ist der erste bekennende Demokrat, der es geschafft hat, in ihre Domäne einzubrechen. „Alle haben prophezeit, der packt das nie. Es gibt keinen Radiomarkt für Typen wie ihn“, sagt James Holm, sein Produzent.

Holm ist 33 Jahre alt, ein schlaksiger Mann, der sich ein „left punk kid from Minnesota“ nennt, die Schule abbrach, sich als Möbelhändler durchschlug, bis er über die Howard-Dean-Kampagne bei Schultz landete, zieht vor und während der Sendung die Fäden. Oft schaut Schultz fragend zu ihm Richtung Studiofenster, wenn er sich bestimm- ter Fakten nicht sicher ist, sein Spott Stars und Prominente treffen soll. „Ed ist der größte Popkultur-Analphabet, den ich kenne“, erklärt Holm. „Er hat Ahnung von Politik und Sport. Sonst nichts.“

Schultz ist deswegen so erfolgreich, sagt Holm, da er sozial engagiert und dialogbereit ist. Er spricht „Reagan-Demokraten“ und Republikaner gleichermaßen an. Er kann austeilen und einstecken. Und er ist ein Profi. Lange arbeitete er als Sportreporter fürs Lokal-TV, bevor er 1992 seine eigene Polit-Talkshow startete. Problematisch ist nur, dass er kein dickes Fell hat. Er nimmt Streit schnell persönlich, mag keine Vorgaben und folgt seinem Instinkt. Bisher lag er richtig.

In seinen Augen wird im Mittleren Westen die politische Zukunft des Landes entschieden. Hier, in den red states, müssen die Demokraten zulegen, um wieder zu gewinnen. Talkradio ist ein Schlüssel zum Sieg, glaubt er. In vielen Kommunen ist es das einflussreichste Medium überhaupt. Die Leute lesen wenig Zeitung, das Lokalfernsehen hat sich auf „Blabla-Shows“, Wetter und Kriminalfälle verlegt. Frühzeitig entdeckten die Konservativen die Macht des Rundfunks wieder. Man könnte meinen, sie sind bei Franklin D. Roosevelt in die Schule gegangen, der wie kein anderer Präsident in der amerikanischen Geschichte durch Radioansprachen das Volk hinter sich zu scharen wusste.

Die Republikaner mobilisieren ihre Wähler mit dem Radio. Als Bush im Wahlkampf nach Fargo kam, erzählt Schultz, stellte sein Team sicher, dass ihm die lokalen Stationen ausreichend Interviewzeit einräumten. Als John Kerry hier auftauchte, zeigten seine Wahlkampfmanager ihm die kalte Schulter. Wenn er über Kerry spricht, hört er gar nicht mehr auf zu schimpfen. „Er hat keine Ahnung vom Mittleren Westen und der Radio-Kultur im Land. Du kannst Amerika nicht nur über die Meinungsseiten der New York Times und Washington Post gewinnen.“

Schultz hat noch eine andere Lektion für die Demokraten parat. Sie müssen endlich lernen, eine Botschaft zu verkaufen. Die Republikaner verstanden es, das Hinterland mit den drei „g-words, gays, guns and god“ zu emotionalisieren. Die „Righties“ verfügen über eine perfekte Propagandamaschine. „Sie wollen Wahlen gewinnen, Demokraten hingegen Probleme lösen.“ Obwohl das Mikrofon längst abgeschaltet ist, dreht er wieder auf, rasselt Statistiken herunter über steigende Zahlen von Armen, Obdachlosen, Unversicherten, Drogenabhängigen, asthmakranken Kindern dank Luftverschmutzung und nennt die Konservativen Heuchler. Dass sie es geschafft haben, sich mit dieser Bilanz als Hüter der Moral zu verkaufen, ist für ihn heute noch skandalös. „Bush ist kein Amerikaner mehr“, sagt er schließlich aufgebracht. Dann verlässt er das Studio auf der Suche nach einem Steak Richtung Broadway, der Hauptstraße des aus fünf Straßenzügen bestehenden Stadtzentrums, dem es auf geheimnisvolle Weise gelungen ist, keine Fastfood-Kette zu beherbergen.

Am nächsten Tag kommt ihm das Bush-Zitat dann selbst etwas radikal vor. Er wollte nicht missverstanden werden, sagt er und präzisiert, er meinte, dass Bush vom Leben der normalen Bevölkerung so entfremdet ist wie lange kein Präsident mehr. Und er hat das Land gespalten wie kein Präsident zuvor, abgesehen vom Bürgerkrieg. Selbst unter Reagan gab es keine solch tiefen Gräben. Jeder Streit zwischen Demokraten und Republikanern artet zum „absoluten Kampf“ aus. „Reagans Politik konnte man ablehnen, aber den Kerl immer noch sympathisch finden. Das funktioniert bei Bush nicht.“

Der Republikaner Bush hat aus dem Republikaner Schultz endgültig einen Demokraten gemacht. Es war eine schrittweise Entwicklung. Sie begann, als er 1998 seine zweite Frau kennen lernte. Eine Krankenschwester, die auch als Freiwillige für die Heilsarmee arbeitete. Sie konfrontierte ihn mit dem „sozialen und wirtschaftlichen Niedergang“ des ländlichen und kleinstädtischen Amerika. Zwei Jahre später outete er sich vor seinen Hörern als Demokrat. Er nennt sich einen „progressive democrat“, um sich von den Campus- und Hollywood-Demokraten abzugrenzen. Das Wort Liberaler kommt ihm nicht über die Lippen.

Seit er konvertierte, wurden Medienunternehmen und Partei-Establishment hellhörig und es ging mit ihm aufwärts. Zunächst langsam. Doch spätestens vergangenes Jahr traf der populäre Lokalradio-Matador den Nerv vieler Demokraten, die verzweifelt nach einer Stimme aus dem Herzen Amerikas suchten, das für Vollblut-Liberale aus Manhattan so fremd ist wie Grönland.

Auf einmal wollen alle in seine Show. Die Parteipromis wollen sich mit ihm, dem Draht zu Joe Sixpack, schmücken. An diesem Tag war der Fraktionschef der Demokraten im Senat auf Sendung, für den er keinen Schonwaschgang einlegte. Neulich hatte er Hillary Clinton. Howard Dean sowieso ständig. Der Rummel um ihn, meint Holm, hat dazu geführt, dass es praktisch keinen Parlamentarier im Kongress mehr gibt, der Schultz nicht kennt.

Seine Show wird nunmehr in acht der zehn wichtigsten Radiomärkte Amerikas übertragen. Allein im letzten Jahr haben ihn 80 Radiostationen übernommen. Er wurde zum reisenden Talkmaster, düst zwischen Ost- und Westküste hin und her. Kommende Woche geht es nach Denver. Eine Live-Sendung mit tausend Zuhörern.

Schultz schnuppert die Prominentenwelt. In Washington hat er sich schon mal eine Wohnung gemietet. Er träumt vom Fernsehen und einem Privatjet. Er sagt, dass er nichts lästiger findet, als überfüllte Flughafenterminals und Warteschlangen.

Ist Eddie bereits abgehoben und seine bodenständige Attitüde Makulatur? Während seine Fangemeinde landesweit unaufhörlich wächst, sind sie sich in seiner Heimat uneinig. Leute klopfen ihm weiterhin im Restaurant auf die Schulter, Autofahrer hupen auf der Straße. Andere reagieren jedoch verächtlich. Ein pensionierter Beamter, der nun als Parkhauswächter arbeitet, zeigt mit dem Daumen nach unten. „Zu liberal“, sagt er. Der repräsentiert nicht mehr die Stimmung hier. Viele, die ihn vorher schätzten, sagt Holm, fühlen sich von seinem plötzlichen Ruhm abgestoßen. „Es ist eine Ironie: Denn niemand hat das Image von Fargo und North Dakota mehr aufpoliert als Ed.“