Schönheit aus anderer Sicht

Großes Vertrauen in die eine globale Welt der Gegenwartskunst: In der Ausstellung „Über Schönheit“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt wollen uns die Künstler aus der islamischen Welt, aus Indien und China keinesfalls exotisch kommen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Schon seit langem ist Schönheit in der Kunst problematisch geworden. Doch merkwürdigerweise scheint sie in dem Moment völlig unproblematisch, in dem wir mit Kunst und Artefakten aus fremden Ländern und fernen Welten, gar vergangener Zeiten konfrontiert sind, von deren Tradition, Religion und Philosophie wir wenig wissen. Plötzlich wird Schönheit zum Rettungsanker, der davor bewahrt, in einem Meer profunder Ahnungslosigkeit abzutreiben und unterzugehen. Sofort findet man die Objekte, die schön scheinen – oder wenigstens interessant. Man entdeckt prächtige Farben und achtet auf Glanz und Ebenmaß der Oberflächen. Man würdigt kostbare Materialien und freut sich über wohlgestaltete Formen, die vertraut erscheinen. Freilich: Selbst da, wo man echte Faszination bei der Entdeckung von Schönheit im Fremden, Neuen und Ungewohnten verspürt, ist die Freude nicht ungetrübt. Ein peinliches Gefühl des intellektuellen Ungenügens lässt sich nicht unterdrücken.

Eine Ausstellung also, in der zwei Drittel der Künstler aus dem fernen und den nahen Osten kommen, muss großes Vertrauen in die eine globale Welt der Gegenwartskunst und ihres Publikums setzen, handelt sie „Über Schönheit“. Dem Anspruch der Themenstellung wäre kaum gedient, empfänden die Besucher die vorgestellten Kunstwerke nur im vorher genannten Sinne schön und exotisch. Und doch – ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Rückkehr der Schönheit in die Kunst, über die in der Fachwelt Einigkeit herrscht, sich gerade der Begegnung mit den Werken der außereuropäischen zeitgenössischen Kunst verdankt? Denn hat nicht zum Beispiel die erste spontane Begeisterung für die strenge Ordnung von Schwarz und Weiß, von Männern und Frauen, von Militanz und Schönheit in Shirin Neshats frühen Videos dazu geführt, die direkte und unkomplizierte Faszination zu rehabilitieren, die von ihren geheimnisvollen, erst nach und nach dechiffrierten Bildern ausging? Stellte sich nicht deshalb die Frage, warum eine solche unvermittelte Reaktion auf Kunst per se unstatthaft sein soll?

Mit der Vertrautheit allerdings wächst die Distanz. Bei „Passage“, Shirin Neshats auf DVD umkopierten 35-mm-Film aus dem Jahr 2001, ist die Musik von Philip Glass zu gefällig, einfallslos und bombastisch, wenn sie am Ende auch noch Ennio Morricones Trompeten zitiert; und die Feuerlinie, die plötzlich auf den Horizont zuschießt, um dann an ihm entlangzulaufen, ist zu unmotiviert. Denn dieses Feuer ist nicht von den Protagonisten des Films, einer Gruppe schwarz verhüllter Frauen, einer männlichen Trauergemeinde und einem spielenden Kind, geschaffen und entzündet worden. Dieses Feuer ist plötzlich da, flammt auf, als Zeichen und Wunder einer schon historischen Land-Art – die freilich im Kontext der gezeigten Trauerfeier eher deplatziert wirkt.

Und doch bezeugt auch diese Arbeit, die Gültigkeit des Ansatzes, den der Kurator Wu Hung, Professor für chinesische Kunstgeschichte an der Universität von Chicago, für seine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt gewählt hat. Für ihn stellt sich die Frage nach der Schönheit in der Kunst nicht mehr im Rahmen eines traditionellen ästhetischen Diskurses, wie er von Kant bis Gadamer geführt wurde. Für ihn schaffen die Interventionen des Feminismus, die Globalisierungsdebatten und die Theorien des Postkolonialismus die intellektuellen und politischen Räume, in denen Schönheit und Kunst neu plaziert und von neuen Teilnehmern diskutiert werden.

Im Westen steht zweifellos Cindy Sherman beispielhaft für Rückkehr der Schönheit in die Kunst – dank einer Problematisierung der weiblichen Verpflichtung zu Glamour und rollenkonformer Sexyness aus weiblicher Sicht. Doch nicht die berühmten Film Stills hat Wu Hung ausgestellt, sondern Aufnahmen ihrer ekligen Pornopuppen, mit denen die opulente Fotoinszenierung „The Four Beauties“ (2004) von Liu Zheng eindrucksvoll kontrastiert. Jeder der riesigen Abzüge stellt das Leben einer Frau dar, die vor Jahrhunderten für ihre Schönheit bekannt war: für Liu Anlass, Kaiserinnen und Kurtisanen, prächtig gekleidete Würdenträger und Schwertkämpfer zu einem lebensgroßen Figurenfries zu vereinen, auf dem Nacktheit ein dominantes – und in China immer noch umstrittenes – Thema ist.

Zwischen beiden Fotoserien steht die biokinetische Skulptur, die der philippinische Künstler David Medalla erstmals 1963 in Aktion versetzte. Fünf farblose Plexiglaszylinder sind mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt, die am oberen Ende in Schaum übergeht; Schaum, der über die Zylinder hinausquillt, ein wenig in die Höhe schießt, um schließlich aufgrund der Schwerkraft die schönsten Kurven und Bögen zur Erde zu vollführen. Der verspielten Arbeit, die ihr Alter nicht zu erkennen gibt, hat Wu zwei mannshohe Frauenköpfe aus bemaltem Polyesterfiberglas zur Seite gestellt, mit denen der indische Künstler Ravinder Reddy Visakhapatnam folkloristische Schönheit in ein Monument des Kunstschönen zu übersetzen versucht.

Auch Michael Lin, der 1964 in Tokio geboren wurde und heute in Taipeh und Paris lebt und arbeitet, lässt den vergrößerten Maßstab für sich arbeiten, die Übersetzung gebräuchlicher Muster taiwanesischer Heimtextilien in großflächige Bodenmalerei. In kräftigen Farben leuchten nun im Foyers des Hauses der Kulturen der Welt stilisierte Blumen auf und sehen viel zu hübsch aus, um mehr als Dekoration zu sein, die die zeitgenössische Kunstinstitution mit „fabelhaft vormodernen Bildern“ (Wu Hung) infiltriert.

Allerdings, in dieser Bodenarbeit manifestiert sich der Anspruch auch den Ort, die Architektur der ehemaligen Kongreßhalle, in die Ausstellung einzubeziehen. Die aus Algerien stammende Künstlerin Samta Benyahia hat daher in einer In-Situ-Auftragsarbeit die Fenster des Hauses mit einem blauen Rosettenmuster beklebt, das als islamisches Symbol für kosmische Ordnung und universelle Harmonie gilt. Der Harmonie und Ausgewogenheit dienen weitere Reihen zu Architektur, Musik, Tanz und Film, die sich mit Schönheit auseinander setzen. Das verlangt schon der im Katalog zur Ausstellung allenthalben zitierte Charles Baudelaire. Der Urvater unseres Verständnisses von moderner Schönheit, sah diese ja nur im Kontext der Stadt und Mode wahr werden. Geradezu Baudelaire zu Ehren könnte Hans-Peter Feldmann die Zeitschrift Babel allein mit Werbeschönheiten gefüllt oder Lin Tianmiao ihre haarigen Kleiderskulpturen entworfen haben. Mannequins tragen sie in Wang Gongxins Videoprojektionen in altertümlicher Stummfilmmanier in eine haarige Umbruchszeit hinein. Mit großem Lärm und bunten Bildern durchquert das neue China immer wieder die schwarzweißen Meditationen der alten chinesischen Stadt. Und analog zu diesen groben Zwischenschnitten haben auch die in den Tüll der Kostüme eingeknüpften Haare durchaus ihr ekliges Moment, selbst da, wo sie die Figurinen mit lustigen Bäuchen und poetischen Zopfgespinsten versehen. „Here? Or There?“ (2002) verhandelt „Über Schönheit“, viele der anderen 25 Arbeiten dagegen scheinen einfach nur über(aus) schön zu sein.

Bis 15. Mai. Katalog 28 €, weitere Infos: www. hkw.de und www.ueber-beauty.com