Wie Forschungsobjekte zur Schau gestellt

Beschnittene Frauen fühlen sich in der Bundesrepublik oft von Ärztinnen und Ärzten schlecht beraten und behandelt. Häufig sei Unkenntnis die Ursache, sagen Betroffene und Medizinerinnen. In Köln lebende Eritreerinnen erzählen von ihren verstörenden Erfahrungen in Arztpraxen und Krankenhäusern

VON BETTINA RÜHL

Asmeret Suleiman* brauchte zwei Jahre, bis sie sich traute, ihre Frauenärztin in Deutschland zu fragen. Scham hinderte die in Köln lebende Studentin daran, über ihre verstümmelten Genitalien zu sprechen. Als die junge Eritreerin schließlich um Rat bat, wie sie ihre Vagina öffnen lassen könnte, die ihr als Baby zugenäht worden war, verschlug ihr die Antwort die Sprache: „Die Ärztin sagte: Ich habe gar nicht gemerkt, dass Sie beschnitten sind.“ Die Medizinerin schien natürliche Ursachen für die anatomische Besonderheiten anzunehmen.

Unkenntnis kein Einzelfall

Solche Unkenntnis sei leider kein Einzelfall, sagt die Sexualmedizinerin Sabine Müller. Denn während der ärztlichen Ausbildung würden keinerlei Kenntnisse über die weibliche Genitalbeschneidung vermittelt. Dabei leben in der Bundesrepublik nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes 29.000 Frauen, die in ihrer Heimat beschnitten wurden. UNICEF plant nun eine Umfrage unter den Frauenärztinnen und Frauenärzten, um einen Überblick über ihren Kenntnisstand zu bekommen.

Allerdings sei blankes Unwissen für die betroffenen Frauen nicht einmal das Schlimmste, sagt die Ärztin Fana Asefaw, die selbst aus Eritrea stammt. Für ihre Doktorarbeit über das Thema hat sie mit etlichen Betroffenen gesprochen. „Viele Mediziner haben nur davon gehört, dass es etwas ganz Exotisches an den Genitalien gibt. Das wollen sie dann unbedingt selbst einmal sehen“, fasst Asefaw die Erfahrungen zahlreicher beschnittener Frauen zusammen. So berichtet sie von dem Fall einer gebärenden, „infibulierten“ Frau – einer Frau also, deren Vagina nach der Beschneidung bis auf eine kleine Öffnung zugenäht wurde. „Als sie im Kreißsaal lag und der Dienst habende Arzt ihre Vagina sah, wurden alle Medizinstudenten hinzu gerufen. Alle die da waren, ob Männer oder Frauen“, so Asefaw.

„Nach einer solchen Erfahrung meiden die Frauen jede gynäkologische Praxis, bis es gar nicht mehr anders geht“, weiß sie. Viele gingen auch nicht mehr zu den Vorsorgeuntersuchungen, „weil sie keine Lust haben, wieder verletzt zu werden.“

Frauen traumatisiert

Die Ärztin Asefaw erlebt selbst unverhüllte Neugier bei ihren deutschen Patientinnen. Als sie einer Frau Blut abnehmen wollte, fragte sie ganz direkt: „Bist Du auch verstümmelt?“ Die sprachgewandte Intellektuelle kann mit solchen Situationen umgehen. „Aber für viele Frauen sind diese Fragen geradezu traumatisierend“, berichtet sie.

Die meisten von ihnen hätten „Angst, von allen angestarrt zu werden“. Manche trauten sich kaum noch in die Öffentlichkeit: „Sie gehen davon aus, dass jeder sie für verstümmelt hält.“ Natürlich sei die Beschneidung etwas Schlimmes. „Aber ich habe keine Lust, immer als Opfer dazustehen“, sagt Asmeret Suleiman. Von ihrer jetzigen Gynäkologin fühle sie sich gut behandelt, denn sie habe sachlich nach den Hintergründen der Beschneidung gefragt.

Und Suleiman erzählte: Dass es drei verschiedene Formen der Beschneidung gibt, bei denen unterschiedlich viel von Klitoris und Schamlippen entfernt wird. Dass nicht jede Ethnie die extremste Form praktiziert, bei der die Vagina anschließend zugenäht wird. „Es hat mir sogar Spaß gemacht, mit meiner Ärztin darüber zu sprechen. Ich hatte das Gefühl, ich kläre sie gerade auf.“

Fatale Traditionen

Dass denjenigen, die vom Brauch der Beschneidung nicht lassen wollen, in Europa vorsätzliche Grausamkeit unterstellt wird, ärgert Asmeret Suleiman. Sie selbst wurde gegen den erklärten Willen ihrer Eltern von ihrer Großmutter beschnitten. Nach anfänglichem Hadern verzieh Asmeret ihr: „Sie war davon überzeugt, dass ich nur als beschnittene Frau einen Mann finden und heiraten könne.“ Auch eine zweite gängige Überzeugung macht sie wütend: Dass die beschnittene Frau grundsätzlich keine Lust empfinde: „Ich kann mich nicht beklagen.“

Bei einer Frau, deren Vagina zugenäht wurde, ist das jedoch ein ausgesprochener Glücksfall. Für viele ist der Geschlechtsverkehr mit großen Schmerzen verbunden. Hinzu kommen körperliche Beschwerden, berichtet Sabine Müller: Urin und Menstruationsblut flößen nur langsam und oft unter Schmerzen ab. Folgen seien häufige Infekte und ständig wiederkehrende Zysten, Fisteln und Abszesse im Genitalbereich.

Unerträgliches Klima

Bei Fatma Omar* zerstörten Fisteln und Entzündungen den Unterleib so weit, dass sie einen künstlichen Darmausgang brauchte. Als sie vor rund zwei Jahren als Flüchtling nach Köln kam, ging sie sofort ins Krankenhaus. Die Gynäkologin reagierte schockiert. „Sie sagte, so etwas hätte sie noch nie gesehen. Ich habe mich natürlich geschämt“, erzählt die 40-Jährige.

Damit begann für Omar ein über einjähriger Behandlungsmarathon, in dessen Verlauf sie vier Mal operiert wurde, um After und Vagina wieder herzustellen. Fatma Omar fühlte sich wie eine „unerfreuliche Last“ behandelt. „Vielleicht dachte die Ärztin, ich mache durch diesen komischen Brauch so viel Arbeit. Vielleicht lag ihr Verhalten aber auch daran, dass ich als Flüchtling Kosten verursache.“

Das Klima wurde so unerträglich, dass die Eritreerin das Krankenhaus wechselte. Für die am Ende erfolgreiche Behandlung in der Kölner Universitätsklinik ist sie zutiefst dankbar – und wünscht sich trotzdem mehr Sensibilität der deutschen Mediziner. „Je offener die Ärzte sind, desto leichter fällt es auch den Frauen, über dieses Thema zu sprechen.“

*Name redaktionell geändert