Löhne runter, Gewinne rauf

Arbeitstexte (I): Die Instrumente des Jobgipfels sind richtig, weil sie den Unternehmen helfen, aus eigener Kraft ihrer einzigen sozialen Verantwortung gerecht zu werden

Der Gipfel war ein Erfolg, weil auf staatlichenInterventionismus verzichtet wurdeDie höchste soziale Pflicht des Eigentums ist, Arbeitsplätze zu schaffen

Der Jobgipfel vom 17. März war ein Erfolg. Nicht weil auf ihm ein imposantes Bündel von staatlichen Maßnahmen geschnürt worden wäre, dank deren die fünf Millionen Arbeitslosen in wenigen Jahren wieder Arbeit hätten. Nein, der Gipfel war ein Erfolg, weil bei allem öffentlichen Begleitgetöse auf hektischen Staatsinterventionismus gerade verzichtet wurde.

Das ist bemerkenswert. Es zeigt, dass heute in Deutschland nicht nur Arbeitsbeschaffungsprogramme wie in den Dreißigerjahren diskreditiert sind. Auch die neokeynesianischen Rezepte der kurzfristigen, schuldenfinanzierten Nachfragestimulierung – durch vermehrte Staatsausgaben und durch gezielte, befristete Steuervergünstigungen für Investitionen – haben in der gegenwärtigen innenpolitischen Debatte offensichtlich keine Chance mehr.

Ob Agenda 2010 oder Jobgipfel – die versprochenen Maßnahmen gehören zu einer längerfristig wirkenden Beschäftigungspolitik. Die zielt darauf ab, die Bedingungen für ein Wirtschaftswachstum zu verbessern, das nicht nur durch erhöhten Kapitaleinsatz zustande kommt, sondern auch zu einer deutlich wachsenden Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften führt. Zwei tiefere Gründe seien genannt, warum das in Deutschland so schwierig und mit so vielen Härten verbunden ist.

Erstens sind es in einer Marktwirtschaft – in den USA und bisweilen in der taz unbefangen „Kapitalismus“ genannt – die Unternehmen, die Arbeitsplätze bereitstellen und nicht der Staat. Und sie tun das nur in dem Umfang, wie mit der geleisteten Arbeit Gewinn zu machen ist.

Das ist der kapitalistische Sachzwang, an den auch Bundespräsident Horst Köhler in seiner „Vorfahrt für Arbeit“-Rede vom 15. März in aller Deutlichkeit erinnert hat: entweder sich am Markt durchsetzen und Gewinne machen oder untergehen. Und das ist im Übrigen auch die höchste soziale Pflicht des Eigentums – entgegen allen idealistischen Missverständnissen des Grundgesetz-Artikels 14.

Staatliche Arbeitsplätze unterliegen demselben Sachzwang. Die erbrachten Leistungen dürfen möglichst wenig (Arbeits-) Kosten verursachen, weil sie in Gestalt von Steuern und Abgaben vom Sozialprodukt abgezweigt werden. Das wiederum wird von den Unternehmen erwirtschaftet. Die Arbeitslosigkeit durch Einstellung aller Arbeitslosen als Hilfslehrer, Stadtgärtner und Altenpfleger zu reduzieren ist daher keine Lösung.

Zweitens unterliegt die deutsche Wirtschaft derzeit einem neuen starken Schub im seit über 200 Jahren ablaufenden sektoralen Strukturwandel: Damals in Europa und Amerika – und heute in China und Indien – wanderte die Beschäftigung unter großem menschlichem Elend und unter Ausbeutung vom primären Sektor, der Landwirtschaft, hin zur verarbeitenden Industrie. Heute verlagert sie sich in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften von der Industrie in den Dienstleistungssektor, also etwa zu Handel und Finanzdienstleistungen, Bildung und Erziehung, Gesundheitswesen und Altenbetreuung.

Die USA und Großbritannien sind da viel weiter als Deutschland. Dort stellt der Dienstleistungssektor bereits gut vier von fünf Arbeitsplätzen, in Deutschland sind es nur etwas mehr als zwei von dreien. Die verbleibenden Industriearbeitsplätze entfallen vor allem auf hochproduktive, wissensintensive – und entsprechend hoch bezahlte – Tätigkeiten. Etwa in der Bedienung und Wartung komplexer automatischer Fertigungsanlagen sowie in der Forschung und Produktentwicklung.

Im Dienstleistungssektor sind Produktivität und Löhne, abgesehen von unternehmensbezogenen Diensten wie denen von Wirtschaftsanwälten und Unternehmensberatern, sehr viel niedriger. In den USA etwa sind die durchschnittlichen Stundenlöhne heute real, nach Abzug der Inflationsrate, niedriger als Ende der Siebzigerjahre, obwohl – genauer gesagt: weil – seitdem fast 30 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden.

Diese neuen Arbeitsplätze entstanden überwiegend im Dienstleistungssektor, während hoch bezahlte Industriearbeitsplätze in Massen an Länder mit niedrigerem Lohnniveau verloren gingen. Die Einbußen beim Stundenlohn werden von den Amerikanern durch Mehrarbeit und erhöhte Frauenerwerbstätigkeit kompensiert.

An fünf Stellschrauben kann der Staat heute noch drehen:

– Durch die Senkung von Steuern und Abgaben der Unternehmen direkt deren Gewinn nach Steuern erhöhen. Das ist ein Ergebnis des Jobgipfels. Nur: Investitionsentscheidungen richten sich keineswegs primär nach der Höhe der Gewinnsteuern eines Landes. Sonst wären längst alle Unternehmen in der Slowakei oder in Estland. Zu viel sollte man sich davon also nicht erwarten. Sinnvoll ist es aber, damit die Streichung aller möglichen gezielten Subventionen und Sonderabzugsmöglichkeiten zu verbinden. Sie sind, seien sie von CDU oder SPD veranlasst, meist ökonomisch schädliche, da wettbewerbsverzerrende Versuche staatlicher Investitionslenkung.

– Die Geschäftskosten von Unternehmen durch Abbau von Regelungen senken, beim Verwaltungsaufwand wie auch beim Faktor Arbeit, etwa durch geringere Arbeitgeberanteile an den Lohnnebenkosten oder durch gelockerten Kündigungsschutz.

– Durch Infrastruktur-Investitionen (wie in Verkehrsnetze) langfristig Produktionskosten senken und neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.

– Durch vermehrte Bildungsausgaben dafür sorgen, dass mehr Fachkräfte für hoch produktive Arbeiten zur Verfügung stehen. Durch das größere qualifizierte Arbeitsangebot könnten auch die höheren Gehälter fallen und so für Unternehmen entsprechende Einstellungen attraktiver werden.

– Den sektoralen Strukturwandel aktiv unterstützen, indem für ein erhöhtes Arbeitsangebot zu niedrigeren Löhnen gesorgt wird; „die Arbeitsanreize erhöhen“ nennen Ökonomen diese Politik. Instrumente hierfür sind die sich selbst ausbeutenden Ich-AGs ebenso wie Hartz IV und die auf dem Jobgipfel vereinbarten höheren Zuverdienstfreibeträge für Arbeitslosengeld-II- Empfänger.

Das harte ökonomische Fazit aller gegenwärtigen Beschäftigungspolitik ist also schnell gezogen: Sollen mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, müssen die Unternehmensgewinne steigen, die Lohnkosten sinken.

Letztlich geht es darum, das „Soziale“ in der „sozialen Marktwirtschaft“ neu zu definieren. Das aber war schon immer relativ. Schließlich galt die „soziale Marktwirtschaft“ ihren Vätern nach 1945 als Mittel des Zusammenhalts einer verarmten und traumatisierten Gesellschaft. Hält die Gesellschaft wie heute durch alle strukturellen Anpassungsprozesse hindurch zusammen und trägt klaglos die Lasten, dann kann das vor Not (auch so ein relativer Begriff) schützende soziale Netz weiter geknüpft werden. In diesem Sinne dürften wir uns noch an einiges anzupassen haben, wenn ab jetzt „Vorfahrt für Arbeit“ gilt.

JENS VAN SCHERPENBERG