Die Ukraine wird sich von Moskau nichts mehr diktieren lassen
: Ungleiche auf Augenhöhe

Allen diplomatischen Floskeln und versöhnlichen Gesten zum Trotz hat der Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Kiew eins klar gemacht: Die Zeit der Moskauer Diktate, wie noch zu Amtszeiten des ukrainischen Staatschefs Leonid Kutschma, ist endgültig vorbei. Stattdessen begegnen sich dessen Nachfolger Wiktor Juschtschenko und Putin erstmals auf Augenhöhe.

Dabei sind die Interessen beider Seiten an gedeihlichen Beziehungen ganz unterschiedlicher Natur. Putin geht es nach Russlands dummdreister und einseitiger Parteinahme für den Wahlfälscher und -verlierer Wiktor Janukovitsch im ukrainischen Präsidentenwahlkampf jetzt vor allem um Schadensbegrenzung. Dabei ist der Kremlchef jedoch klug genug, zu erkennen, dass ihm in den ehemaligen Sowjetrepubliken die Felle längst davonschwimmen. Der Wahlsieg der westlichen gewendeten Kommunisten in der Republik Moldau am 6. März ist ein weiteres Indiz dafür, dass Moskaus Einfluss immer weiter schwindet. Demgegenüber muss auch Juschtschenko an einer funktionierenden Partnerschaft mit Russland gelegen sein. Zum einem aus wirtschaftlichen und energiepolitischen Gründen. Zum anderen um auch die Russland wohl gesinnten Bürger im Osten des Landes für seinen Reformkurs zu gewinnen.

Diese objektiven Notwendigkeiten ändern nichts an Juschtschenkos Prioritäten. Und wo diese liegen, zeigt seine Zurückhaltung in der Frage einer Einbindung der Ukraine in eine gemeinsame Wirtschaftszone mit Russland, Weißrussland und Kasachstan. Diese kommt allenfalls dann in Frage, wenn sie einer Integration in die Europäische Union nicht im Wege steht.

Inwieweit Juschtschenko dieser schwierige Spagat zwischen Ost und West gelingt, wird zu einem großen Teil von der Europäischen Union abhängen. Doch die ist, nach anfänglichem Überschwang ob der geglückten Revolution, schon wieder auf dem Rückzug. Eine endlose Hinhaltetaktik Brüssels gefährdet aber nicht nur die Reformbemühungen in Kiew. Sie spielt Wladimir Putin direkt in die Hände. BARBARA OERTEL