„Geografische Kontinuität“ um Jerusalem

Die aktuelle israelische Siedlungspolitik hat weitreichende Folgen für einen künftigen palästinensischen Staat

Israels Linke ist empfindlich, wenn es darum geht, durch den Bau oder die Erweiterung jüdischer Siedlungen Fakten zu schaffen. Doch für Jerusalem gelten andere Regeln. Die Unteilbarkeit der „ewig jüdischen“ Hauptstadt scheint Konsens zu sein. Daher stößt die beschlossene Errichtung einer „geografischen Kontinuität“ zwischen der derzeit größten Siedlung Maale Adumim und Jerusalem in Gestalt eines neuen Viertels mit 3.500 Wohneinheiten kaum auf Kritik.

Bau- und Wohnungsminister Jitzhak Herzog von der Arbeitspartei spricht offen von seiner noch darüber hinausgehenden Vorstellung: eine Art Siedlungsstreifen im Osten Jerusalems, von Maale Adumim im Norden bis hin zu Har Homa im Süden. Die auf halbem Weg nach Bethlehem gelegene Siedlung Har Homa war von Herzogs Parteifreund, dem ehemaligen Regierungschef Ehud Barak, abgesegnet und während seiner Amtszeit errichtet worden.

Die Har-Homa-Idee stammte allerdings von Baraks Vorgänger im höchsten Regierungsamt, Benjamin Netanjahu. Aus seiner Feder kommt auch der berüchtigte Plan „E-1“, in dem bereits 1999 von einem umfangreichen Ausbau Maale Adumims die Rede ist. Als günstig gilt, dass in dem fraglichen Baugebiet nur wenig Menschen leben. Maale Adumim erstreckt sich auf mehreren tausend Quadratmetern Land, das ein Beduinenstamm für sich beansprucht.

Ungünstig wiederum ist, dass die von der Regierung in Jerusalem angestrebte „geografische Kontinuität“ der Siedlungen auf Kosten eines räumlich zusammenhängenden palästinensischen Landstreifens geht. Nicht nur das: Die Palästinenser, die heute schon in ihren Reisemöglichkeiten stark eingeschränkt sind, hätten schlicht keine direkte Nord-Süd-Verbindung mehr. Alle Hauptstraßen, ob von Jericho im Osten, Hebron und Bethlehem im Süden oder Ramallah, Nablus und Dschenin im Norden, führen über Jerusalem. Die Regierung erwägt offenbar den Bau eines Tunnels. Konkrete Pläne gibt es aber noch nicht.

„Dort, wo jüdische Siedlungen sind, dürfen Palästinenser die Straßen nicht mehr benutzen“, resümiert Sarit Michaeli, Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Betselem, die Erfahrungsberichte der Feldforscher. Michaeli fürchtet, dass die neuen Siedlungen dazu führen, dass die Trennanlagen noch tiefer in das palästinensische Gebiet reichen werden. In Jerusalem leben eine Viertelmillion Palästinenser. Mit dem Mauerbau rings um die Stadt bleibt die deutliche Mehrheit auf israelischer Seite. Demografische Erwägungen um das jüdisch-arabische Gleichgewicht spielen in der Hauptstadt offenbar keine Rolle.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat in der Vergangenheit bereits davor gewarnt, die neu geschaffenen Fakten würden die palästinensische Führung dazu zwingen, „die Plausibilität einer Zwei-Staaten-Lösung zu reevaluieren“. Er appelliert an die internationale Gemeinschaft, den Prozess aufzuhalten, der zu einem „De-facto-Apartheid-System“ führe. Eine Gruppe palästinensischer Akademiker und Geografen, die sich über zwei Jahre mit dem Thema beschäftigte, kommt zu dem Schluss, die Palästinenser könnten zwar einen Staat „auf dem Papier“ gründen. Die konkrete Situation sei hingegen eher mit Indianer-Reservaten in den USA vergleichbar. SUSANNE KNAUL