Immer weniger sagen „oui“

Nicht nur wegen der Dienstleistungsrichtlinie wächst in Frankreich die Zahl der Gegner der EU-Verfassung. Daher machen nun linke, rechte und grüne Verfassungsbefürworter gemeinsam mobil

PARIS taz ■ Zehn Wochen vor dem Referendum manövriert Frankreichs Staatspräsident nach allen Seiten, um das „oui“ im Referendum über die EU-Verfassung zu retten: Jacques Chirac sucht Unterstützung, bis hin nach Polen. Und droht jenen in Frankreich, die mit „non“ stimmen wollen, mit „nicht zu vernachlässigenden Konsequenzen“.

Dennoch steigt die Zahl der Franzosen, die am 29. Mai gegen den Verfassungsvertrag stimmen wollen, unablässig. Hätte das Referendum am letzten Wochenende stattgefunden, wären 52 Prozent gegen den Vertrag gewesen, fand das Institut Ipsos heraus. Zwei Tage zuvor wären es 51 Prozent gewesen, meinte das Konkurrenzinstitut CSA.

Die Begründungen der französischen Neinsager reichen von sozialen bis hin zu politischen Argumenten. Am weitesten verbreitet ist die Ablehnung des markt- und wettbewerbskonzentrierten Gesellschaftsmodells, das der Verfassungsvertrag auf unabsehbar lange Zeit für die EU festlegen will. Diese Position findet sich vor allem in den Reihen der radikalen Linken – von den Trotzkisten über die KPF bis hin zur größten Gewerkschaft CGT und der globalisierungskritischen Bewegung Attac – aber auch in einer wachsenden großen Minderheit der PS. Daneben existiert die traditionelle rechte „souveränistische“ Position. Sie hat sowohl Anhänger im Lager der regierenden Rechten als auch bei den Rechtsextremen.

Doch die Gegner des EU-Verfassungsvertrages kommen längst nicht mehr nur vom rechten und linken Rand. Auch in der politischen Mitte, insbesondere im Lager der traditionell proeuropäischen – und der CDU nahe stehenden – Partei UDF steigt die Zahl jener, die mit „non“ stimmen wollen. Sie begründen ihre Ablehnung unter anderem mit der Perspektive eines eventuellen EU-Beitritts der Türkei, den sie ablehnen.

Die größte Sorge für die Verfassungsbefürworter sind nicht die traditionellen EU-Gegner, sondern die linken Kritiker des Verfassungsvertrages. Um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, machen gegenwärtig rechte Politiker, der PS-Chef und einige grüne Jasager gemeinsam Kampagne.

Chirac versucht, die Debatte mit einem Einlenken bei der Dienstleistungsrichtlinie zu entschärfen. Dieses Projekt, wonach ein EU-Bürger in der ganzen Union Dienstleistungen nach den Regeln seines Herkunftslandes anbieten darf, hat wegen der absehbaren Dumpinglöhne hohe Wellen geschlagen. „Die Dienstleistungsrichtlinie bedeutet Krieg zwischen dem lettischen und dem schwedischen Arbeiter“, erklärt der Arbeitsinspektor Filoche, zugleich Verfassungsvertragskritiker und Führungsmitglied der französischen PS.

Kaum haben die 25 EU-Chefs erklärt, sie wollten die Richtlinie überarbeiten, werfen in Frankreich die Verfassungsgegner ein neues Argument gegen das liberale Europa in die Debatte. Jetzt geht es um die geplante Arbeitszeitrichtline, die vorsieht, dass Arbeitnehmer freiwillig auf Regelungen der Arbeitszeit verzichten können. Das ist genauso schlimm wie die Dienstleistungsrichtlinie, heißt es. DOROTHEA HAHN