Wallfahrtsort für Kranke

Fünfsternehotel statt Gesundheitsschmiede: Nach Bangkok kommen Leidende aus aller Welt zur Behandlungund Verschönerung. „Krankenhaustourismus“ ist ein Milliardengeschäft für die thailändische Hauptstadt

von URS WÄLTERLIN

Peter Düttiker ist ein Wrack. Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn er seine medizinische Geschichte erzählt: Tropenkrankheiten, Amöben, Prostatakrebs, künstliche Kniegelenke, eine Niere entfernt. Die Liste scheint endlos. Und doch macht der 74-Jährige einen äußerst vitalen Eindruck, als er in Bangkok an seinem Espresso schlürft. „Mir geht es hervorragend“, meint der ehemalige Manager.

Düttiker ist einer von Millionen Patienten, die jedes Jahr aus aller Welt für medizinische Eingriffe nach Thailand reisen. Vor allem die Hauptstadt Bangkok hat sich zu einem Wallfahrtsort für Leidende mit Gebrechen jeder Art entwickelt. „Krankenhaustourismus“ ist für das Land zum Milliardengeschäft geworden. Zwar bieten auch in anderen Ländern Asiens Krankenhäuser ihre Dienste an – in Singapur etwa, und in Indien, aber Thailand ist Marktführer, wie Ruben Toral erklärt. Er ist Direktor für Marketing im Bumrungrad Hospital, einem der größten privaten Krankenhäuser Asiens. Statistiken über das Ausmaß des Medizintourismus in Thailand gebe es zwar nicht, meint der junge Amerikaner im edlen Maßanzug. Doch die Zahlen, die Bumrungrad als eines von vielen Krankenhäusern im Stadtzentrum von Bangkok schreibt, lassen die Dimensionen der Industrie erahnen: Im Jahr 2003 behandelte Bumrungrad 917.000 Patienten. 35 Prozent stammten aus dem Ausland.

Der Großteil der Eingriffe wird in der Tagesklinik vorgenommen. Eine ganze Armee von Pflegepersonal und Ärzten operiert und versorgt in 135 Behandlungsräumen Patienten – bis zu 3.500 pro Tag. Wer das Bumrungrad-Hospital betritt, fühlt sich in der Lobby eines Fünfsternehotels, nicht in einer Gesundheitsschmiede. Statt blassen Patienten, die sich an ihren Infusionsständer klammernd durch die Halle schleppen, begrüßen junge Frauen in schmucken Uniformen und mit freundlichem Lächeln die ankommenden Patienten. Ein Starbucks-Café bietet Espresso und Cappuccino an, auf Wunsch mit Sojamilch. Im weichen Ledersofa versunken unterschreiben Patienten das Kreditkartenformular. Nicht weniger luxuriös sind die Zimmer: Viele haben eine kleine Küche für Angehörige.

Patienten aus 140 Ländern lassen sich in diesem Krankenhaus behandeln. Es ist der größte Wachstumsmarkt ist Asien und dem Nahen Osten. Pro Monat kommen mehrere hundert kranke Deutsche nach Bumrungrad. „Doch Europa ist kein Fokus für uns“, meint Ruben Toral. „Dort ist das öffentliche Gesundheitssystem zu gut. Vorläufig noch.“

Angeboten wird in Bumrungrad praktisch alles. Ob die Korrektur der schiefen Nase, ein neues Gebiss oder die Entfernung eines Lungentumors – „wer das Geld auf den Tisch legt, kann sich hier zu einem neuen Menschen machen lassen“, erklärt Toral. Dann unterbricht ihn das Telefon. „Ich empfehle Seiner Majestät das Hotel nebenan. Die haben eine gepflegte Präsidentensuite“, säuselt der Amerikaner in den Hörer. „Wir haben immer mehr königliche Gäste“, erklärt er und rückt sich die rosa Seidenkrawatte zurecht.

Die Patienten mögen gelegentlich majestätisch sein, die Preise aber sind es nicht. Im Durchschnitt bezahlt man in Thailand für einen Eingriff etwa ein Drittel dessen, was er in Europa kosten würde. Wer sich die Hämorrhoiden entfernen lassen will, muss etwa 700 Euro auf den Tisch legen. Darin eingeschlossen sind nicht nur die Operation, die Narkose, Medikamente und die Nachversorgung, sondern zwei Nächte auf der chirurgischen Abteilung. Eine Prostataoperation kostet etwa 1.300 Euro, eine Laser-Augenkorrektur 500 Euro. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist unglaublich gut, meint Peter Büttiker“, seit 1983 Patient thailändischer Kliniken. Es sind nicht zuletzt die im Vergleich zu westlichen Ländern deutlich niedrigeren Lohnkosten, die es asiatischen Spitälern erlauben, attraktive Preise anzubieten. Die meisten Krankenhäuser behandeln Arme und Unterprivilegierte kostenlos – eine religiöse Pflicht im buddhistischen Thailand.

Die Frage nach Qualität und Sicherheit sei die von Ausländern am häufigsten gestellte, erklärt Peter Lindner, Assistenzdirektor des ebenfalls in Bangkok gelegenen Samitivej-Hospitals. Denn Thailand ist ja auch für Infektionskrankheiten wie HIV bekannt. Samitivej behandelt pro Jahr 120.000 Patienten aus Übersee und wirbt für seine Dienstleistungen mit Prospekten, die der Menükarte eines Restaurants ähneln. Viele der in Bumrungrad und Samitivej angestellten Ärzte sind nicht nur in Thailand, sondern auch in den Vereinigten Staaten ausgebildet und registriert. Oft tragen sie den Titel eines Professors. Die technische Infrastruktur in den Krankenhäusern wird laufend dem neuesten Stand der Medizinalwissenschaft angepasst.

Trotzdem muss sich die thailändische Gesundheitsindustrie regelmäßig Vorwürfe aus dem Ausland gefallen lassen, sie sei qualitativ minderwertig, ja gefährlich. Die Kritik kommt in der Regel von jenen, die am meisten zu verlieren haben: den Ärzten. In Australien warnen Chirurgen mit extremen Beispielen missratener Schönheitsoperationen vor dem medizinischen Seitensprung. Lindner winkt ab: „Unsere Arbeitstechnik, unsere Infektionskontrolle – alles entspricht internationalen Normen.“

Auch Patienten wie Peter Düttiker können nur den Kopf schütteln: Er fühle sich in einem thailändischen Krankenhaus mindestens so sicher wie in einem Privatspital zu Hause. Und er fügt hinzu: „Sie fliegen in ihrem Urlaub nach Bangkok und lassen sich die schiefe Nase operieren. Und dann hoffen sie, dass es zu Hause niemand merkt.“